Künstliche Intelligenz: Segen oder Fluch für das Kundenerlebnis?

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Ein Gastbeitrag von
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Mit mehr als 15 Jahren Erfahrung als UX-Designer kennt Thom Bartsch die Herausforderungen, denen sich viele Entwickler und UX-Profis bei der Schaffung digitaler Nutzererlebnisse gegenübersehen. Als Senior Solutions Consultant für UserTesting berät er Führungskräfte, Produkt- und Designteams. Vor UserTesting war Thom Lead UX Designer bei Salesforce und arbeitete bei Intershop Communications sowie Mokkafish Ltd in Taiwan.
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Künstliche Intelligenz (KI) kann Unternehmen klare Vorteile bringen – aber nur dann, wenn sie richtig implementiert wird.

Viele Firmen überschlagen sich derzeit geradezu, die neue Technologie in ihre Betriebsabläufe zu integrieren. Manchmal mit äußerst fragwürdigen Ergebnissen. Denn wie bei allen großen Innovationen gibt es auch hier Vorreiter und Nachzügler. Und nicht nur die genialsten, sondern auch die furchtbarsten Anwendungsbeispiele haben schon Schlagzeilen gemacht.

Gute und schlechte Beispiele für den Einsatz von KI

Wie sich KI clever zur Effizienzsteigerung nutzen lässt, hat etwa Amazon Web Services (AWS) gezeigt. Das Unternehmen setzt generative KI ein, um seinem Kundenserviceteam schnelle Reaktionen auf Kundenanfragen zu ermöglichen. Über sein Angebot „Amazon Q in Connect“ bekommen Kundendienstmitarbeiter in Echtzeit Antworten und Handlungen zu Live-Kundenfragen vorgeschlagen. Die schnellen und hilfreichen Supportoptionen beschleunigen den Kundendienst; gleichzeitig können die Mitarbeiter weiterhin für den persönlichen Kontakt mit den Kunden sorgen und die Service-Prozesse im Blick behalten.

Was passiert, wenn man KI nutzt, ohne die gebührende Sorgfalt walten zu lassen, zeigt dagegen ein bekanntes Negativbeispiel aus Großbritannien. Die Organisatoren der inzwischen berüchtigten „Willy Wonka Experience“ in Glasgow ließen Marketingmaterialien für das auf Kinder zugeschnittene Event von generativer KI erstellen. Enttäuschte Besucher fanden eine Wirklichkeit vor, die leider nur wenig mit dem zu tun hatte, was die Werbebilder versprochen hatten. Die Veranstaltung wurde als „Farce“ betitelt, im Internet verspottet, und sogar die Polizei musste anrücken. Entrüstete Familien verlangten reihenweise ihr Eintrittsgeld zurück.

Beide Beispiele belegen, dass sich mit KI durchschlagende Ergebnisse erzielen lassen. Ob zum Guten oder zum Schlechten, das hängt davon ab, wo und wie die KI genutzt wird – und wie gründlich ihre Auswirkung vorher getestet wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, mit welchen Maßnahmen Unternehmen sicherstellen können, dass sie die Technologie angemessen einsetzen, anstatt ihre Kunden zu verärgern und am Ende zu scheitern.

Die Kundenerwartungen zu verstehen ist das A und O 

Wer KI optimal nutzen will, muss zunächst verstehen, an welcher Stelle sich die Technologie am besten in das Kundenerlebnis einbinden lässt. Dazu gehört eine realistische Einschätzung sämtlicher Stärken und Schwächen, um zu ermitteln, ob die KI tatsächlich geeignet ist, das bereits vorhandene Angebot aufzuwerten und zu bereichern.

Regelmäßige Tests der KI-gestützten Elemente eines Kundenerlebnisses sind ebenfalls unverzichtbar. Sie stellen sicher, dass die Endnutzer von der Technologie auch profitieren, dass die KI-Elemente zum Markenimage passen und sie nicht nur technische Spielereien sind. Zudem kann künstliche Intelligenz einer Firma zwar Zeit und Kosten sparen, sie sollte aber nie als reine Rationalisierungsmaßnahme oder als Shortcut dienen. Grundsätzlich ist es ratsam, sich immer wieder Feedback von Kunden dazu einzuholen, wie Änderungen oder Neuerungen im Produkt oder Serviceangebot bei ihnen ankommen.

Wäre beispielsweise bei der Willy Wonka Experience das Vorgehen schon vorab getestet worden, dann hätte sich schnell herausgestellt, dass die KI-generierten Marketingmaterialien den verfügbaren Ressourcen nicht im Mindesten entsprachen und viel zu hohe Erwartungen weckten. Ein neues Gestaltungs- und Marketingkonzept hätte wahrscheinlich geholfen, das darauffolgende Image-Debakel und die Kundenbeschwerden zu vermeiden. Dieser Bruch ist ein klassisches Beispiel dafür, welche Gefahren es birgt, wenn die Form Vorrang gegenüber dem Inhalt hat. Die Integration der KI schuf am Ende keinerlei Mehrwert für das Event – ganz im Gegenteil.

Mit am wichtigsten ist es deshalb, das eigene Unternehmen und seine Kunden zu verstehen und zu erkennen, wo es wirklich Verbesserungspotenzial gibt. Wer KI unreflektiert für sämtliche Materialien von Flyern bis zu Drehbüchern einsetzt, wie dies bei der Werbestrategie für das Willy-Wonka-Event offensichtlich der Fall war, der riskiert überzogene Kundenversprechen und enttäuschte Kunden und schadet dadurch letztlich seiner Marke.

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Quelle: UserTesting

Nicht ausschließlich auf KI setzen 

Theoretisch hat KI ein riesiges Potenzial. Sie kann helfen, Unternehmensprozesse zu optimieren, kreative Impulse zu setzen oder Kundenerlebnisse maßzuschneidern. Wie so oft bei neuen Technologien ist aber auch hier ein menschliches Element unabdingbar, um mögliche Risiken zu mindern und erforderliche Korrekturen vorzunehmen. Menschliche Eingriffe sind gerade dann zwingend notwendig, wenn KI im Kundendienstbereich eingesetzt wird. Jeder, der schon einmal von einem Chatbot in die Verzweiflung getrieben wurde, kann das bestätigen. Wenn ein Mitarbeiter aber die Interaktion kontrolliert und übernehmen kann, sobald die KI an ihre Grenzen kommt – was hauptsächlich in komplexen Situationen schnell der Fall ist –, dann kann das Unternehmen effizient arbeiten und die Kunden bleiben zufrieden. KI sollte das vorhandene Kundendienstverfahren schließlich aufwerten und es nicht ersetzen.

Die Verärgerung vieler Benutzer über KI lässt sich sicher auch auf Zeiten zurückführen, als die Technologie ausschließlich aus Bequemlichkeits- oder Kostengründen eingesetzt wurde statt aus einer echten Notwendigkeit heraus oder zur Verbesserung des Kundenerlebnisses. Es finden sich allerdings immer mehr Beispiele für die Nutzung von KI in Situationen, in denen sie nicht wirklich notwendig oder hilfreich ist – sehr zum Leidwesen der Endverbraucher. Wer potenzielle Komplikationen vermeiden will, sollte immer dafür sorgen, dass KI nur zur Ergänzung und nicht anstelle von menschlicher Kreativität und Kommunikationsfähigkeit eingesetzt wird. Denn die Bereitstellung eines negativen Kundenerlebnisses, nur um Kosten zu sparen oder den Mitbewerbern mit einer neuen Technologie zuvorzukommen, kann erhebliche Imageschäden nach sich ziehen.

Ganz gleich, wie sinnvoll die Implementierung von KI für ein Unternehmen erscheint: Letzten Endes müssen die Kunden beurteilen, ob die KI ein Vorteil oder ein Nachteil ist. Unternehmen sollten deshalb unbedingt Kundenfeedback einholen, bevor sie umfangreiche Veränderungen vornehmen, und während des Entwicklungsprozesses fortlaufend Tests mit wirklichen Nutzern durchführen. Nur so können sie sicherstellen, dass alles wie gewünscht funktioniert und das Kundenerlebnis aufgewertet wird.

Checkliste für den Einsatz von KI

  • Durchdacht implementieren: Gründliche Nutzertests und eine realistische KI-Integration vermeiden spätere Enttäuschungen bei den Kunden.
  • Mit Menschen aufwerten: KI in Kombination mit menschlicher Kontrolle sorgt dafür, dass die Technologie das Kundenerlebnis verbessert statt verschlechtert.
  • Feedback einholen: Regelmäßiges Kundenfeedback zu KI-gestützten Veränderungen ist entscheidend, um das Angebot auf die Kundenerwartungen abstimmen zu können.

Fazit

Wie jede andere Technologie ist auch KI keine Spielerei. Es muss sorgfältig erwogen werden, welchen Mehrwert sie wirklich bietet, und Entwicklungsteams müssen genug Zeit einplanen, um die Reaktionen ihrer Kunden zu verstehen. Und auch wer sich für den Einsatz von KI entscheidet, sollte auf eine deutliche menschliche Komponente achten. Nur so können Unternehmen ihren Kunden ein fantastisches Erlebnis bieten, statt einer albtraumhaften Zukunft voller untauglicher Chatbots und fragwürdigen Bildmaterials.

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