Die Digitalisierung hat eine Geschwindigkeit erreicht, mit der unser Staat (aktuell) nicht mitkommt. Der Ausbau einer digitalen Infrastruktur und die Entwicklung einer umfassenden Gesetzgebung für das Netz lassen weiter auf sich warten. Das liegt unter anderem daran, dass die Aufgabenverteilung des Staates in Sachen Digitalisierung nicht klar geregelt ist. Martin Schallbruch, ehemaliger Leiter der Abteilung IT, Digitale Gesellschaft und Cybersicherheit im Bundesinnenministerium, geht in seinem Buch „Schwacher Staat im Netz –
Wie die Digitalisierung den Staat in Frage stellt“ den Schwächen des Staates bei der Digitalisierung nach und bietet Lösungsansätze.
Das Verhältnis von Staat und Digitalisierung ähnelt aktuell der Geschichte vom Hasen und dem Igel. Bei einem Wettrennen hat der Igel gegen den Hasen keine Chance. Wenn er es aber clever anstellt, kann er dem Hasen jedoch ein Schnippchen schlagen und dennoch erfolgreich sein. Doch davon sind wir aktuell weit entfernt. Während sich die Politik beispielsweise noch mit dem flächendeckenden Breitbandausbau beschäftigt, arbeitet die Wirtschaft bereits an künstlicher Intelligenz und Chatbots. Die Regelungen, mit denen sich der Staat aktuell auseinandersetzt und die Probleme, die er lösen will, werden zu dem Zeitpunkt, wenn ein Gesetz in Kraft tritt, schon längst wieder (mehrfach) überholt sein.
Diese Entwicklung kann nicht einfach so hingenommen werden. Dass Google bereits mehr Bücher digitalisiert hat, als alle deutschen Bibliotheken zusammen, ist ein Armutszeugnis. Die Gestaltungshoheit bei der Digitalisierung überlässt der Staat nahezu ausschließlich den Konzernen und der Wirtschaft und beschränkt sich stattdessen auf Überregulierungen durch Werkzeuge wie die DSGVO. Dabei haben wir einen starken Staat im Netz dringend nötig, der für eine digitale Infrastruktur sorgt, digitale Zugänge zum Gesundheitswesen ermöglicht, Bibliotheken und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk digitalisiert und für Daten- und Rechtssicherheit im Netz sorgt.
Aktuell vermittelt der Staat häufig genug den Eindruck, er sei handlungsunfähig. Das liegt unter anderem daran, dass die Zuständigkeiten bei der Digitalisierung nicht klar bestimmten Personen, Institutionen und Ämtern zugeordnet sind. Angela Merkels Satz „Jeder Minister ist auch ein Digitalminister“ klingt erst einmal gut und nach einem verzahnten, gemeinsamen Vorgehen. In Wirklichkeit bedeutet er aber, dass jeder irgendwie ein bisschen für alles und niemand so richtig für etwas zuständig ist. Maßnahmen wie die DSGVO sollen über diese Tatsache hinwegtäuschen und wiegen den Bürger in einer Sicherheit, die es längst nicht mehr gibt.
Denn es ist mittlerweile nahezu unmöglich geworden, die volle Kontrolle über die eigenen Daten und die digitalen Aktivitäten zu behalten. Wer zum Beispiel eine Banking-App nutzt, teilt seine Informationen nicht mehr nur mit der Bank, sondern auch mit dem App-Hersteller, dem Entwickler des Betriebssystems des Smartphones, dem Telefonanbieter, allen anderen App-Anbietern, die auf Inhalte auf dem Smartphone Zugriff haben und mit vielen mehr. Durchschnittlich haben deutsche Haushalte heutzutage 20 Geräte im heimischen Netzwerk und 90 verschiedene Accounts im Internet. Tendenz steigend.
Wer glaubt, dass die DSGVO dafür sorgt, dass die persönlichen Daten umfassend geschützt sind und man sie in der digitalen Welt frei nutzen kann, fällt auf den Staat herein. Dieser möchte nämlich, dass seine Bürger glauben, er habe die Digitalisierung und den Datenschutz voll im Griff. Diese vermeintliche Sicherheit sorgt jedoch dafür, dass viele Menschen sehr sorglos mit ihren Daten umgehen, was zu einer echten Gefahr werden kann.
Das Ziel des Staates muss es sein, stärker zu werden und die Digitalisierung aktiv mitzugestalten, statt ihr zuzusehen und hinterherzurennen. Um im Bild zu bleiben: Der Igel muss sich eine Strategie überlegen, wie er dem schnellen Hasen beikommen kann. Martin Schallbruch stellt in seinem Buch „Schwacher Staat im Netz. Wie die Digitalisierung den Staat in Frage stellt“ verschiedene Lösungsansätze vor, wie der Staat an Kraft gewinnen und sich in die Digitalisierung einbringen kann:
Der Staat muss aufhören, sich auf eine detailgetreue Regulierung der Digitalisierung zu versteifen und stattdessen einen großen Wurf beim Digitalrecht anstreben. Schallbruch schwebt eine Art BGB für die digitale Welt vor. Außerdem müsse es klare Zuständigkeiten bei der Verantwortung im Bereich Digitalisierung geben. Ein Digitalministerium sei hierbei nur der erste Schritt. Zudem müsse der Staat die Gestaltungshoheit in der digitalen Welt an sich reißen. So muss es ein klares Konzept für die Zukunft des digitalen Gesundheitswesens und der Bildung im Netz geben. Nicht zuletzt muss die Digitalpolitik neu geordnet werden.
Alle Digitalfragen sind nämlich Querschnittsfragen, die alle Ministerien und Regierungsbereiche betrifft. Daher müssen eine Verzahnung der Ministerien untereinander, eine klare Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern sowie eine intensive Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft angestrebt werden. Hierfür werden keine neuen Plattformen oder Techniken benötigt, sondern die Bestehenden müssen einfach besser organisiert und zielgerichtet genutzt werden. Das muss schnell geschehen, denn nur ein starker Staat kann seine Bürger effizient schützen und dafür sorgen, dass aus der Digitalisierung etwas Gutes für alle entsteht.
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