Mit dem Theaterstück „(R)Evolution“ widmet sich das Thalia Theater Hamburg der Digitalisierung. Spätestens jetzt gehört das Thema somit zu den großen, gesellschaftsrelevanten Diskursen, die das menschliche Miteinander spürbar prägen. Der Theaterabend setzt auf gute Unterhaltung und auf eine gezielte Verunsicherung beim Publikum. Insgesamt werden dreieinhalb Handlungsstränge aufgemacht, die sich der Digitalisierung auf unterschiedliche Weise nähern. Leider bleibt das Erlebnis lediglich gute Theaterunterhaltung ohne wirklichen Tiefgang.
Die Digitalisierung gehört nun endgültig zu den großen Themen der Weltbühne. Denn sie ist nicht länger nur ein Diskurs ausgewiesener Experten der Computerbranche und Entscheider in Unternehmen, sondern wird auch von Künstlern aufgegriffen und behandelt. Hierbei kommen sich der Reiz und die Gefahr der vermeintlichen und tatsächlichen Erleichterungen der Digitalisierung erstaunlich nahe. Denn es sind ja gerade die Vorteile und Bequemlichkeiten der Digitalisierung, die uns die unleugbaren Risiken und Einschränkungen in Kauf nehmen lassen. Dieser Ambivalenz widmet sich der Theaterabend am Thalia Theater Hamburg und lotet aus, wie die Zukunft unserer Gesellschaft angesichts einer unaufhaltsamen digitalen Transformation aussehen könnte.
Eines zeigt sich hieran zumindest deutlich: Die Digitalisierung hat großes Diskussionspotenzial. Es gibt die Technikverliebten, die sich gar nicht mehr von ihrem digitalen Sprachassistenten (auf der Bühne verkörpert durch „Alekto“) trennen können und die Traditionalisten (auf der Bühne „Naturalisten“ genannt), die sich nichts Schöneres vorstellen können als eine Welt ohne Technik. Zwischen diesen beiden extremen Polen finden alle Diskussionen rund um die Digitalisierung statt, die jetzt auch auf der Bühne ausgetragen werden. Die Digitalisierung hat eine immense Relevanz und es ist an der Zeit, ihre Abgründe und Tiefen ebenso zu betrachten wie ihre Höhen und Versprechen.
Das Stück „(R)Evolution“ beginnt bereits in einem ersten Monolog mit einer Verunsicherung des Publikums. Es wird unterstellt, dass im Theater Sensoren unter den Sitzen angebracht wären, die körperliche Reaktionen der Zuschauer registrieren und abspeichern. Zudem würden überall Kameras zur Gesichtserkennung aufgehängt, die die Reaktionen des Publikums in Bild und Ton festhalten. Jede noch so kleine Regung könne so festgehalten, ausgewertet und für eine Optimierung des Theatererlebnisses ausgenutzt werden.
Im Publikum erzeugt dieser Einstieg zwei sich eigentlich widersprechende Gefühle. Auf der einen Seite sind alle belustigt und beruhigt, weil es solche Sensoren und Kameras ja nicht wirklich gibt. Noch greift das Theater nicht auf diese Weise in die Privatsphäre der Menschen ein. Gleichzeitig kann man sich aber nicht dem Gefühl „Was aber, wenn doch?“ erwehren. Wie würde sich das Leben verändern, wenn es auf einmal solche Technologien zur Auswertung menschlichen Verhaltens gäbe? Wie frei kann der Mensch in einer solch durchdigitalisierten Welt noch sein? Und schon wird aus belustigter Unterhaltung ein alarmierendes und beunruhigendes Kopfkino.
Im Laufe des Theaterabends wird das Publikum mit dreieinhalb Handlungssträngen konfrontiert, berichtet Michael Laages auf deutschlandfunk.de. Im ersten wünscht sich ein Paar Nachwuchs, möchte das neue Kind aber effizient designen. Die Erfahrungen mit dem auf natürliche Weise entstandenen Vorgänger waren einfach zu schlecht. Außerdem hat die Versicherung bei der Entscheidung für oder gegen ein Kind ja noch ein Wörtchen mitzureden. Die Frage, ob das natürliche Erbgut wirklich ein gutes Erbe ist, steht hierbei im Raum.
Der zweite Strang wird von den „Naturalisten“ besetzt. Diese lehnen jede Form von Technologie ab und wollen eine Rückkehr zu einer natürlichen und unbeschwerten Lebensart erreichen. Hierbei schrecken sie auch nicht vor Terroranschlägen gegen die Maschinen und ihre Erschaffer zurück. Unter anderem schwingt die Frage mit, wie natürlich ein Leben sein kann und sollte und wie abhängig der Mensch bereits von der Digitalisierung ist. Welche Maßnahmen zum Schutz der eigenen Identität und der Persönlichkeitsrechte sind gerechtfertigt? Und welche Haltung nimmt man selbst zu den neuen technologischen Möglichkeiten ein?
Der dritte Strang befasst sich mit einer Frage, der sich schon Star Trek und Roald Dahl vor über fünf Jahrzehnten gewidmet haben: Kann der Mensch zur Maschine werden? Ist es möglich, das eigene Bewusstsein in die Cloud hochzuladen und neue Formen des Seins zu erleben? Und wenn ja: Welche Auswirkungen hat das auf das Menschsein? Wie abhängig ist der Mensch von einem biologischen Körper und wie reizvoll ist eine Existenz als reines Geistwesen in einer digitalen Welt?
Diese drei Handlungsstränge werden von einem vierten miteinander verknüpft. Hier kommt „Alekto“ ins Spiel, der die Digitalisierung als Ganzes und die technischen Geräte der Menschen im Speziellen verkörpert. Es handelt sich hierbei um einen lustigen, unterhaltsamen Zeitgenossen, der für Comic Relief sorgt und Lachen und heitere Momente an dem Abend erzeugt. Und wieder wird der große Dualismus der Digitalisierung deutlich: Sie ist reizvoll und gefährlich zugleich. Denn dieser nette, freundliche Zeitgenosse auf der Bühne ist ja letztlich die große Bedrohung, die für die Auslöschung der Menschheit verantwortlich sein könnte.
Der Theaterabend am Thalia Theater Hamburg verspricht viel, kann aber nur wenig liefern. Das Stück bleibt zu sehr an der Oberfläche und ergeht sich zu stark an den Klischees und Merkmalen der Digitalisierung, die hinlänglich bekannt sind. Um eine Drohkulisse im Stile George Orwells zu erzeugen, fehlt es der Handlung an Tiefe und Recherche. Es wird vieles angedeutet und angesprochen, jedoch zu wenig weitergedacht. Die intelligenten Inszenierungsideen und die Verunsicherung des Publikums versanden auf diese Art sehr schnell und lösen nicht die Denkprozesse aus, die so wichtig wären und die die Thematik durchaus hergibt.
Alles in allem handelt es sich bei „(R)Evolution“ um Boulevardtheater, das gut unterhält, aber kaum zum gesellschaftlichen Diskurs beiträgt. Die Wichtigkeit der Digitalisierung kommt nur in Ansätzen zur Sprache und der vielversprechende Diskurs, der sich aus einer solchen Thematik auf der Bühne ergeben könnte, wird nur an wenigen Stellen tatsächlich ausgelöst. Da man sich am Ende des Abends gut unterhalten fühlt, fällt es schwer, von einer vertanen Chance zu sprechen. Aber irgendwie bleibt das schale Gefühl, dass mehr drin gewesen wäre.
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