Am 28. Juni 2025 ist Stichtag: Dann müssen E-Commerce-Anbieter die Vorgaben des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) erfüllt haben und den Zugang zu Webshops für Menschen mit verschiedensten Einschränkungen sicherstellen. Eine Umsetzung von Barrierefreiheit ist komplex, stellt aber gleichzeitig eine Chance für Anbieter dar, die Zielgruppe zu erweitern.
In Artikel 3, Absatz 3 des Deutschen Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Da sich unser Leben immer mehr auch auf digitaler Ebene abspielt, muss dieser Grundsatz auch für das Internet Gültigkeit haben. Auch für jene ca. 9,4 Prozent der Deutschen mit Behinderung und weiteren Bürgerinnen und Bürgern, die beispielsweise aufgrund von Alter oder ähnlichem eine Einschränkung der Sehkraft etc. aufweisen, muss es möglich sein, Onlineangebote gleichermaßen wahrnehmen zu können wie ihre Mitmenschen ohne Einschränkungen. Und das können sie derzeit oftmals nicht: Eine von Aktion Mensch gemeinsam mit Google, der Stiftung Pfennigparade und BITV-Consult durchgeführte Untersuchung zeigt, dass deutsche Onlineshops zu 75 Prozent nicht – oder noch nicht – barrierefrei sind.
Eine entsprechende Gesetzgebung zur verpflichtenden Barrierefreiheit tritt Mitte 2025 in Kraft. Das BSFG gibt vor, dass Menschen mit Einschränkungen gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabemöglichkeiten erhalten müssen. Onlinehändler müssen ihr Onlineangebot folglich barrierefrei und für alle gleich zugänglich und bedienbar machen. Sonst droht ein Bußgeld von bis zu 100.000 €. Damit setzt das BSFG die EU-Richtlinie für Barrierefreiheit in Deutschland um.
Demographischer Wandel
Gerade der demopgraphische Wandel bedingt die Notwendigkeit zu barrierefreihen Websiten, denn mit einer zunehmend älter werdenden Bevölkersschicht steigen auch die altersbedingten Anforderungen an gute Lesbarkeit, Sichtbarkeit und Optionen zur Audiowiedergabe etc. Und die gezielte Ansprache und Einbindung dieser Bevölkerungsgruppe ist für Onlinehändler nicht ganz unerheblich, da in ihr eine hohe Zahl an kaufkräftigen Individuen zu finden sind.
Digitaler Einkauf ohne Barrieren
Aber was bedeutet Barrierefreiheit von Webshops genau? Hiermit ist die Zugänglichkeit von Webshops für Menschen mit diversen Einschränkungen gemeint. Das umfasst die Einschränkungsfaktoren Sehen, Hören, Kognition und Motorik. Für betroffene Menschen müssen die Darstellungen von Websites zum Beispiel farbliche Beschriftungen etwa auf Teaser-Bildern gut sichtbar, Beschreibungen leicht verständlich und Untertitel vorhanden sein und Mindestkontrastwerte erreichen. Zudem sollte es vereinfachte Eingabemöglichkeiten geben und die Implementierung von Alt-Attributen bei Bildern sowie die Option zum sich Vorlesen lassen durch Screenreader sollte im Frontend implementiert sein.
Wie gestalten Webshop-Betreibende ihre Plattform am besten barrierefrei?
Welche Schritte müssen Betreiberinnen und -Betreiber unternehmen, um ihren Webshop erfolgreich barrierefrei zu gestalten? Diese sind:
- Bestimmung des Ist-Zustands: Prüfung des gegenwärtigen Zustands des Webauftritts in Bezug auf Dartsellung der Frontendanbindung z.B. in einem Tool wie Google Lighthouse.
- Planung: Festlegung, welche Standards genau erfüllt werden sollen und welche Maßnahmen dafür notwendig sind, um diese umzusetzen.
- Umsetzung: Einarbeitung der Standards in enger Abstimmung mit allen relevanten Abteilungen. Gerade die technische Umsetzung und Anpassung einzelner Frontendabschnitte kann dabei einige Zeit erfordern.
- Stetige Kontrolle: Die korrekte Funktion der Website und der Barrierefreiheits-Features müssen kontinuierlich auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls nachjustiert werden.
KI für mehr Barrierefreiheit
Viele Inhalte können mittels künstlicher Intelligenz (KI), genauer generativer KI/GenAI, verbessert und deren Erstellung automatisiert werden. KI-Technologie kann etwa ohne großen Mehraufwand einen Text in Audio ausgeben. So reduziert der Einsatz von GenAI den Aufwand bei der Umsetzung der BFSG-Vorgaben für Webshop-Betreiberinnen und -Betreiber enorm. GenAI-Technologien – wie ChatGPT – können mittels Bilderkennung etwa bei Nutzung eines Screenreaders Programmoberflächen beschreiben. Sprachmodelle fassen Inhalte zudem zusammen und vereinfachen diese. Beim Programmieren können Sprachmodelle ebenfalls hilfreich sein, da sie barrierefreie Standards in den Code einfügen können.
Vorteil Barrierefreiheit
Bereits 2022 forderten zwei von drei Bürgerinnen und Bürgern laut einer repräsentativen Bitkom-Umfrage die digitale Barrierefreiheit. Einer Forderung, der nun in Form einer gesetzlichen Vorgabe auf Basis der europäischen Norm EN 301 549, die sich an den internationalen Richtlinien für barrierefreie Webinhalte (WCAG) orientiert, entsprochen wird. Eine nicht ganz einfache Aufgabe für diejenigen, die diese Vorgabe für ihren Webauftritt umsetzen müssen. Die Implementierung von Funktionen für mehr Barrierefreiheit schafft eine gute Wahrnehmung über alle Sinnesorgane, dafür müssen u. a. Anpassungsfähigkeit von Bedienbarkeit, Schriftgröße und Kontrast gegeben sein.
Aber diese komplexen Herausforderungen anzugehen, lohnt sich: Die digitale Barrierefreiheit ermöglicht es, Angebote, Produkte oder Services einer breiteren Usergruppe verfügbar zu machen. Denn viele Kundinnen und Kunden, die bislang nur unter großem Aufwand einen Webshop nutzen konnten, können dieses nun gleich einfach wie Menschen ohne Einschränkungen. Zudem führt eine bessere Usability zur Stärkung der Brand und zu einer höheren Kundenloyalität sowie zur Steigerung der Conversion Rate. Zusätzlich erhöht sich durch die umfassende Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben auch die Qualität der Website und somit die Customer Experience. Dies wirkt sich schließlich auch positiv auf das SEO-Ranking aus.
Die CX ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit und Barrierefreiheit entscheidend für die CX
„Im Online-Handel geht es mehr denn je darum, die Customer Experience (CX) auf die individuellen Kundenbedürfnisse zuzuschneiden“, heißt es in einem im Mai 2024 veröffentlichten Artikel. Nicht ganz zu Unrecht, wenn man zahlreichen Studien und Expertenstimmen der letzten Jahre Glauben schenkt. So heißt es etwa in einem Beitrag von Mittelstand Heute: „E-Commerce-Marktführer unterscheiden sich von Konkurrenten dadurch, dass sie das Kundenerlebnis, die Customer Experience (CX) kontinuierlich mit neuen Features verbessern und so die Zufriedenheit der Kunden steigern.“, und eine weitere Berichterstattung bestätigt: „Ein angenehmes Kundenerlebnis ist von entscheidender Bedeutung für den dauerhaften Erfolg eines Unternehmens.“ Wenn Features für mehr Barrierefreiheit erfolgreich implementiert sind, steigert dies auch die CX und Kundenzufriedenheit, was maßgeblich zur Wettbewerbsfähigkeit des jeweiligen Onlineshops beiträgt.
Zusätzlich zu den dedizierten Features der Barrierefreiheit werden auch generelle Funktionen verbessert, wenn die Vorgaben des BFSG konsequent umgesetzt werden: Etwa die Optimierung für die Nutzung via Mobile Devices. Diese ist ein wichtiger Bestandteil der Barrierefreiheit, verbessert aber die User Experience (UX) aller Nutzerinnen und Nutzer. Denn von einer nahtlosen Darstellung und Bedienbarkeit auf verschiedenen Bildschirmgrößen profitieren alle User. Zudem sind barrierefreie Webshops oftmals für schnelle Ladezeiten optimiert. Der kürzere Seitenaufbau schlägt sich in einer besseren Conversion Rate nieder. Eine effiziente Performance trägt daher maßgeblich zur besseren Gesamt-CX bei.
Webshop-Betreiberinnen und -Betreiber, die sich nicht sicher sind, wie weit sie in der Barrierefreiheit ihrer Plattform vorangeschritten sind und was sie noch tun müssen, können Barriere-Checks durchführen, die Digitalisierungsunternehmen teilweise kostenlos zusammen mit praxisorientierten Checklisten anbieten. Zudem finden Sie in diesen Experten auch Unterstützung in der Implementierung von Funktionen für mehr Barrierefreiheit.
Implikationen von Barrierefreiheit: Inklusion und Diversität
Und nicht zuletzt ist die Inklusion aller User zur Stärkung des Gleichheitsgedankens und der Diversität genauso wichtig wie die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Webshops. Die Überführung der EU-Regulierung zur Barrierefreiheit in nationales Recht fördert Inklusion und Diversität, also die Einbindung marginalisierter und benachteiligter Bevölkerungsgruppen, und ist ein wichtiger Schritt einer aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft. Mit den heutigen technologischen Innovationen ist es möglich, sowohl rechtliche, wirtschaftliche und digitale Gesichtspunkte mit den moralischen Grundsätzen der aktuellen Zeit zu vereinen. Ein klassisches Win-Win-Szenario für Wirtschaft, Gesellschaft und Bevölkerung gleichermaßen.
Fazit: Barrierefreiheit als Chance begreifen
Eine robuste Umsetzung der Richtlinien trägt zu einer insgesamt höheren Qualität der Plattform bei: Die Verbesserung der Usability und der Navigation durch die Umsetzung der Vorgaben des BFSG steigert sowohl die Conversion Rate als auch den Umsatz. Das Image von E-Commerce-Unternehmen wird gestärkt und das SEO-Ranking verbessert, während sie gleichzeitig ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Die Barrierefreiheit stellt also eine Chance für E-Commerce-Unternehmen dar, Ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern.