In einer global und digital aufgestellten Welt leistet es sich Europa, bei der Digitalisierung zu trödeln. Der Ausbau digitaler Projekte kommt nicht so recht voran und von einer einheitlichen Digitalstrategie ist man weit entfernt. Langfristig gefährdet das die Souveränität der europäischen Staaten. Schon heute sind sie von US-amerikanischen Unternehmen stark abhängig und laufen China in der digitalen Entwicklung hinterher. Das Ziel muss es daher sein, die digitale Transformation Europas zu beschleunigen und digital unabhängig zu werden.
Souveränität bedeutet, über die eigenen Belange selbst entscheiden zu können und zu dürfen. Grundsätzlich wird jedem Staat eine solche Souveränität zugebilligt. In der Praxis entscheiden aber häufig die Mächtigen über die Geschicke der Welt und die weniger Mächtigen müssen mitspielen. Diese Regeln der analogen Welt gelten selbstverständlich auch für den digitalen Bereich. Was im Internet recht und billig ist, bestimmen aktuell die großen Big Five GAFAM (Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft) und die kleinen müssen sich an deren Spielregeln orientieren. Sich hierbei seine digitale Souveränität zu bewahren, ist schwer bis unmöglich.
Genau das aber ist für die europäischen Staaten überlebenswichtig. Denn die Digitalisierung beschränkt sich schließlich nicht auf den Handel. Auch militärische Konflikte werden immer häufiger digital ausgetragen. So sind zum Beispiel Cyber-Spezialisten in der Lage, Kraftwerke und Krankenhäuser eines Staates lahmzulegen. Außerdem hat der letzte US-Wahlkampf gezeigt, wie erfolgreich digitale Einflussnahme auf den Ausgang einer Wahl sein kann. Wer also vor Angriffen geschützt sein und über seine eigenen Belange selbstständig entscheiden möchte, muss sich seine digitale Souveränität bewahren.
Das Ziel Europas muss es sein, in digitalen Fragen möglichst souverän zu werden. An Ideen, wie das gelingen könnte, mangelt es nicht, doch die Umsetzung kommt nicht so recht voran. So ist schon seit längerer Zeit im Gespräch, eine europäische Cloud aufzubauen. Das Ziel hierbei lautet: von US-Konzernen unabhängig werden. Heutzutage sind europäische Unternehmen nämlich stark von den Big Five GAFAM abhängig und in ihren Entscheidungen somit nicht frei. Das gilt vor allem technologisch. Deswegen wäre es wichtig, eigene Technologie-Zentren aufzubauen, um eigene Ideen voranzutreiben. Das passiert aber nicht. So bleiben europäische Unternehmen und Behörden und somit auch europäische Daten immer im Einzugsbereich der US-amerikanischen Tech-Unternehmen und sind von diesen abhängig.
Es gibt aber noch viele weitere Projekte, bei denen Europa nicht so recht vorankommt. So ist seit langer Zeit eine europäische Armee im Gespräch, die gegebenenfalls auf Angriffe oder Krisensituationen angemessen und mit einer Stimme reagieren kann. Auch hier sind aktuell keine Fortschritte zu sehen. Der Verkauf der 5G-Rechte ist ein erster Schritt hin zu einer digitalen Infrastruktur, doch die tatsächliche Umsetzung geht nur sehr langsam voran. Solange das der Fall ist, besitzt Europa keine digitale Souveränität, sondern ist in vielen Bereichen abhängig und somit angreifbar.
Für mehr digitale Unabhängigkeit in Europa spricht sich auch Moritz Koch auf handelsblatt.combL-ap6″ target=“_blank“ rel=“noopener noreferrer“>auf handelsblatt.com aus. Er betont, dass Europa ein riesiges digitales Potenzial habe, dass aber bisher ungenutzt bleibe. Zu oft beschränkten sich die Akteure in Brüssel, Deutschland und Paris darauf, Absichtsbekundungen auszusprechen und vernachlässigten hierbei das konkrete Handeln. Digitale Souveränität sei jedoch nur mit einer eigenen, unabhängigen digitalen Infrastruktur möglich. Deren Aufbau gerät jedoch an allen Ecken und Enden immer wieder ins Stocken, weswegen Europa den USA und China in der Digitalbranche bereits heute oftmals hinterherrennt.
Zudem sagt Koch, dass gutes Zureden allein nicht der Schlüssel zum Erfolg sei. Die für die digitale Transformation zuständigen Behörden und Firmen brauchen stattdessen konkrete Anreize, um sich für den Aufbau einer digitalen Infrastruktur in Europa aktiv einzusetzen und diese voranzutreiben. Außerdem muss absehbar sein, dass ein solches Projekt erfolgreich sein wird. Denn es dürfte schwierig werden, die globale GAFAM-Allmacht zu durchbrechen. Aber nur wenn das gelingt, haben alle Bemühungen überhaupt einen Wert und lässt sich digitale Souveränität in Europa erreichen.
Warum aber soll sich Europa digital unabhängig machen, wenn das doch dem eigentlichen Geist des Kontinents und der Entwicklung der letzten Jahrzehnte widerspricht? Die Idee hinter der Globalisierung war doch gerade, die Länder miteinander zu verflechten und enge Partnerschaften aufzubauen. Zum einen, um neue Absatzmärkte zu generieren, und zum anderen, um Frieden herzustellen und zu bewahren. Denn niemand käme auf die Idee, seine besten Kunden oder seine Zulieferer zu attackieren. Die Idee der Globalisierung war somit immer auch ein Friedensprojekt. Warum jetzt also diese Rückbesinnung auf regionale Regelungen und die Betonung der digitalen Souveränität?
Die Antwort lautet: weil die Welt heute eine andere ist als vor zehn, zwanzig oder gar dreißig Jahren. Die USA haben sich spätestens seit Donald Trump von der Rolle der Beschützer der westlichen Werte verabschiedet. Der US-Präsident spricht immer wieder davon, dass die europäischen Staaten – und insbesondere Deutschland – ihre Militärausgaben erhöhen sollen. Er hat kein Interesse mehr daran, die Schulhofpolizei zu spielen, die die Europäer vor Schlägern schützt, die es auf ihr Pausengeld abgesehen haben. Ohne diesen Schutz der USA ist es für Europa extrem wichtig, unabhängig und wehrhaft zu werden, um sich im Zweifelsfall verteidigen zu können.
Aber auch auf der anderen Seite der Welt tut sich einiges. China ist nicht mehr allein der kostengünstige Produktionsstandort Europas, der für die eigenen Zwecke ausgebeutet werden kann. Das Land entwickelt sich zusehends zu einer globalen Macht mit Internationalem Einfluss und einer beeindruckenden Wirtschaftsleistung. Angesichts einer solchen Konkurrenz ist es wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen und von möglichst niemandem abhängig zu sein. Aber auch Russland verfolgt geopolitische Ziele und baut seinen Einfluss in der Welt kontinuierlich aus. Angesichts all dieser Entwicklungen ist es extrem wichtig, nicht in alten Denkmustern hängenzubleiben, sondern sich an die neuen Funktionsweisen der Welt anzupassen. Der erste Schritt auf diesem Weg ist digitale Souveränität. Denn ohne diese, hat Europa keine Chance, in der Welt zu bestehen.
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