Raus aus der Grauzone: Die Digitalisierung der Glücksspielbranche

Im deutschen Glücksspielmarkt werden die Karten neu gemischt. Mitte März 2020 verabschiedeten die Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer nach zähem Zank und mehreren erfolglosen Anläufen zu einer gemeinsamen Position einen neuen Glücksspielstaatsvertrag. Nach etlichen Jahren der Existenz in einer gesetzlichen Grauzone sind Online-Casinos in Deutschland damit nach Inkrafttreten des neuen Vertrags ab 1. Juli 2021 vollkommen legal. Zuvor war die deutsche Rechtslage unübersichtlich.

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Deutschland holt Rückstand in der EU auf

Deutschland folgte mit diesem Beschluss dem Vorbild etlicher anderer EU-Partner und entschied sich, eine nationale Glücksspielbehörde einzurichten, wie sie zum Beispiel Malta mit seiner Malta Gaming Authority und das Vereinigte Königreich mit der UK Gambling Commission bereits kennen. Die Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim forderte, die neue deutsche Behörde mit Sitz in Sachsen-Anhalt nicht zu einem zahnlosen Tiger zu machen, sondern ihr die Befugnis für Rechtsverordnungen zu geben, damit sie schnell reagieren könne. Vorgesehen ist bereits, dass sie Zahlungsströme zentral überwacht.

Rigide Rahmenbedingungen

Die Bundesrepublik als größter Glücksspielmarkt Europas geht mit der Festsetzung ziemlich rigider Rahmenbedingungen für das Glücksspiel im Internet einen gänzlich eigenen Weg. Ganz offensichtlich ließen die Ministerpräsidenten sich nach langen Verhandlungen unter Federführung der Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen vom Gedanken eines möglichst umfassenden Jugend- und Spielerschutzes leiten. Herausgekommen ist laut Ministerpräsidentenkonferenz ein „begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot“.

So soll eine bundesweite Sperrdatei Spielsüchtige erfassen und es ihnen unmöglich machen, Casino-Kunde zu werden. Betroffen sind auffällige Spieler mit Selbst- und Fremdsperren. Anbieter sind außerdem verpflichtet, ein automatisiertes System zur Früherkennung von glücksspielsuchtgefährdeten Kunden nachzuweisen. Monatliche Einzahlungen bei Internet Casinos dürfen 1.000 € nicht überschreiten. Dies ist ein Gesamtwert, der für individuelle Spielerkonten bei allen Anbietern gilt.

Man kann also nicht mehrere deutsche Online-Casinos jeweils mit 1.000 € pro Monat bestücken. Besonders strengen Regeln unterwarfen die Bundesländer die überaus beliebten Live-Sportwetten. Für Tennis und Basketball verbietet der neue Vertrag sie komplett. Hintergrund ist, dass in diesen Sportarten sehr viele Einzelereignisse und Zwischenergebnisse stattfinden, auf die man setzen kann. Beim Fußball andererseits fallen normalerweise nicht besonders viele Tore, es sei denn, ein zukünftiger Weltmeister spielt in Brasilien gegen Brasilien (2014, deutsche Nationalmannschaft, 7:1, ein Jahrhundertergebnis). Hatte bestimmt niemand getippt.

Werbung beschränkt erlaubt

Obwohl die Ministerpräsidenten Werbebeschränkungen für Anbieter von Online Glücksspielen vorsahen (Reklameverbot in Rundfunk und im Internet zwischen 06.00 und 21:00 Uhr), zogen sie die Kritik auf sich, zur Verbreitung von Spielsucht beizutragen. Dem konnten insbesondere die Anbieter für Sportwetten nicht zustimmen, für die die neuen Rahmenbedingungen Einbußen bedeuten. Der Deutsche Sportwettverband (DSWV) rechnete bei Live-Wetten mit einem Rückgang bis zu 75 Prozent, was bei einem Gesamtmarkt im Umfang von 9,3 Milliarden Euro Verluste zwischen drei und vier Milliarden Euro bedeute. Dem Live-Wetten-Geschäft erlegte der Kompromiss der Länder erhebliche Veränderungen auf. Im Fußball lässt er zum Beispiel nur noch Wetten auf das Endergebnis oder das nächste Tor zu.

Die staatlichen Lotteriegesellschaften des deutschen Lotto- und Totoblocks begrüßten die Entscheidung der Ministerpräsidenten, weil sie den illegalen Markt zurückdränge. Die Deutsche Automatenwirtschaft beschwerte sich, angesichts der neuen Rechtslage für deutsche Online Casinos seien die Vorschriften für Mindestabstände zwischen Spielautomaten in Spielhallen nun überflüssig.

Rasant wachsender Markt

Insgesamt beträgt das Glücksspiel-Volumen in Deutschland rund 14 Milliarden Euro jährlich – bisher mit hohem Schwarzmarktanteil. Dem illegalen Glücksspiel wollten die Ministerpräsidenten mit dem neuen Staatsvertrag einen Riegel vorschieben und zugleich den „natürlichen Spieltrieb“ der Bevölkerung berücksichtigen. Sie beendeten damit eine jahrelange Hängepartie, in der insbesondere der bisher nicht regulierte Markt für Online-Glücksspiele in eine legale Grauzone rutschte.

Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Staatsvertrags hatten Online-Casinos und Sportwetten im Netz den geringsten Anteil am Glücksspielumsatz in Deutschland, Spielautomaten in Gaststätten und Spielhallen und die Lotteriegesellschaften der Bundesländer lagen weit vorn. Doch der virtuelle Markt holt stark auf. Mit der Gesetzesnovelle reagierten die Bundesländer auf den Druck, der durch einen blühenden Schwarzmarkt entstanden war. Die Einigung lässt den einzelnen Ländern einigen Spielraum bei der genauen Ausgestaltung der Regeln. Das betrifft unter anderem Klassiker des Glücksspiels wie Roulette und Blackjack.

Pionierarbeit in Schleswig-Holstein

Vorreiter der Entwicklung war Schleswig-Holstein. Es hatte virtuelles Roulette, Poker, Automatenspiel und Ähnliches offiziell erlaubt und Online-Casinos knapp zwei Dutzend Lizenzen erteilt. Sie waren Anfang 2019 erloschen, wurden aber verlängert. 2011 war der damalige Glücksspielstaatsvertrag ausgelaufen, ohne dass die Bundesländer sich auf eine Anschlussregelung einigen konnten. Theoretisch durften danach nur Menschen mit Wohnsitz im nördlichsten Bundesland Angebote fürs Online-Glücksspiel wahrnehmen. Gleichzeitig hatte die EU die Bundesrepublik aufgefordert, eine bundeseinheitliche Regelung zu treffen, die mit europäischem Recht konform ist. Obwohl diese fehlte, konnte man auch als Deutscher das Angebot von Online-Casinos wahrnehmen, solange sie im Besitz einer EU-Lizenz waren.

Online Casinos entstanden in Deutschland vor etwa zwei Jahrzehnten. Damals war die Sicherheit von verschlüsselten Zahlungssystemen hinreichend optimiert worden. Der Markt entwickelte sich rasant, bald tummelten sich auch einige schwarze Schafe auf ihm. Das rief staatliche Regulierung auf den Plan. Die erste dafür zuständige Institution war das „Directorate of Offshore Gaming“ der Regierung von Antigua & Barbuda.

Die zuständigen Behörden werden in der Regel im Footer am Ende der Casino-Seiten angezeigt. Auch sind Offshore Lizenzen wie aus Curacao möglich, deren Anforderungen haben aber weniger strenge Richtlinien. Dass die staatlichen Institutionen auch durchgreifen, beweist die Ausschlussliste der bereits erwähnten Malta Gaming Authority. Sie erfasst nicht nur betrügerische Anbieter, sondern auch solche, die ihre Lizenzgebühren nicht bezahlt haben.

Deutscher Markt gerät in Bewegung

In der Bundesrepublik wird der Umsatz von Online-Casinos inzwischen auf etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Deutsche Branchengrößen des Automatenspiels wie Merkur und Novoline waren aufgrund der unsicheren Rechtslage für diesen Sektor bislang zurückhaltend; die Entscheidung der Ministerpräsidenten galt Branchenkennern als möglicher Startschuss für eine Aufholrallye deutscher Firmen.

Deutschland folgte damit der Aufforderung der EU-Kommission in Brüssel und brachte die Situation beim Online-Glücksspiel in Übereinstimmung mit dem gemeinsamen Binnenmarkt und der Dienstleistungsfreiheit. Um eine Lizenz zu erwerben, müssen deutsche Online-Casinos nun wie jeder andere Anbieter in Europa zuerst bestimmte Voraussetzungen erfüllen, sicheres Spiel und Jugendschutz etwa. Auch achten seriöse Online-Casinos auf eine Trennung der Unternehmens- und Spielerkonten.

Zahlreiche Online-Plattformen beobachten den Markt und geben Empfehlungen für seriöse Online-Casinos ab. Dabei fließen auch Kriterien wie die angebotene Auswahl an Spielen ein, die benutzbaren Zahlungsmethoden und eventuell anfallende Gebühren. Ebenso die technische Verlässlichkeit und ästhetische Attraktivität der Software-Plattform sowie die vorhandene Handy-App, die Erreichbarkeit des Kundendienstes, die Aufschlüsselung der Auszahlungsraten, die Güte des Angebots für Streaming aus einem Live Casino und die Verfügbarkeit eines Bonus.

Solch ein Bonus besteht zumeist aus Willkommensangeboten für Neukunden, denen der Anbieter eine bestimmte Summe gutschreibt, die vorläufig nur fürs Spielen eingesetzt werden kann und erst später in Echtgeld umgewandelt wird.
Diesen sehr dynamischen Markt wird das Digital-Magazin wie alle E-Commerce-Trends aufmerksam beobachten und auch künftig darüber berichten. Ein Fazit lässt sich jetzt schon ziehen: Der neue Glücksspielstaatsvertrag schuf nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch höheren Konsumentenschutz. Er unterwirft das Spielen im Netz allerdings auch zuvor nicht bekannten Beschränkungen.

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