Künstliche Intelligenz: Fluch oder Segen für die Menschlichkeit in Unternehmen?

Ein Gastartikel von ...

Anna Maria Schaupp
Anna Maria Schaupphttps://framechangers.at/
Anna Maria Schaupp ist Expertin für Organizational Behaviour bei Framechangers™, einer führenden systemisch-dialogischen Transformationsberatung. Mit einem Magisterabschluss in Psychotherapiewissenschaften und über 6 Jahren Erfahrung in Transformationsberatung unterstützt sie Unternehmen dabei, die Chancen der digitalen Ära zu nutzen, ohne die menschliche Dimension aus den Augen zu verlieren. Neben ihrer Tätigkeit bei Framechangers™ ist sie Gastdozentin an der Tomorrow University of Applied Sciences und führt eine eigene Praxis mit Schwerpunkt auf kognitiver Verhaltenstherapie. Durch die Kombination ihrer Kenntnisse aus der Verhaltenstherapie mit modernen Ansätzen des Organizational Behaviour fördert sie Veränderungen und Potenzialentfaltung in Unternehmen.

Künstliche Intelligenz revolutioniert die Arbeitswelt und stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen und Chancen. Die entscheidende Frage ist, wie diese technologische Entwicklung die menschliche Zusammenarbeit und Führung beeinflusst. Während KI Effizienz und Automatisierung fördert, bleiben menschliche Fähigkeiten für erfolgreiche Führung und Zusammenarbeit in der modernen Arbeitswelt unersetzlich.

Künstliche Intelligenz (KI) ist mittlerweile ein fester Bestandteil vieler Unternehmen und prägt die Arbeitswelt grundlegend. Die technologische Revolution durch KI hat die Art und Weise, wie wir arbeiten, verändert. Automatisierung und datengetriebene Entscheidungsfindung sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern gegenwärtige Realität. Doch diese technologische Entwicklung wirft eine zentrale Frage auf: Wie wirkt sich die Implementierung von KI auf die menschlichen Qualitäten und die zwischenmenschliche Zusammenarbeit innerhalb von Unternehmen aus?

Während Unternehmen und deren Mitarbeiter:innen zunehmend die Vorteile und die Notwendigkeit von KI erkennen, konzentriert sich ein Großteil der Diskussion auf die technischen Aspekte der Implementierung. Wie integrieren wir KI-gestützte Technologien effektiv? Welche Prozesse können automatisiert werden? Diese Fragen sind zweifellos wichtig, doch sie verdecken eine entscheidende Dimension: die Auswirkungen der KI auf die Zusammenarbeit und Führung innerhalb des Unternehmens.

Die Rolle der Führungskraft in der Ära der KI

Obwohl KI viele Aufgaben übernehmen kann, bleibt die Rolle der Führungskraft nach wie vor essenziell und wird nicht obsolet. Vielmehr verändert sich die Rolle signifikant. Der Fokus verschiebt sich von vermehrt administrativen und bürokratischen Aufgaben hin zu wesentlichen menschlichen Fähigkeiten. Dies bedeutet nicht, dass Führungskräfte lediglich „Verwalter“ sind oder waren; vielmehr sind administrative Tätigkeiten nur ein Teil des gesamten Spektrums von Führungsaufgaben. Die moderne Führungskraft ist gefordert, ein tiefes Verständnis für die Funktionsweise von KI zu entwickeln, um deren Stärken sinnvoll zu nutzen und gleichzeitig ihre Grenzen zu erkennen. Diese Veränderung betont nicht nur die Notwendigkeit, administrative Prozesse zu optimieren, sondern auch die Bedeutung von emotionaler Intelligenz, kreativer Problemlösung und strategischem Denken. Während KI Effizienzsteigerungen ermöglichen kann, bleibt die menschliche Führungskraft unentbehrlich, wenn es um Effektivität geht. Der Terminus „Effizienz“ bezieht sich auf die Optimierung von Prozessen und Ressourcen, während „Effektivität“ das Erreichen der langfristigen Ziele und die Anpassung an sich verändernde Bedingungen betrifft. Daher ist es entscheidend, dass Führungskräfte ihre Rolle nicht nur als Manager von Systemen und Prozessen, sondern auch als Visionäre und Gefährt:innen verstehen, die in der Lage sind, menschliche Stärken zu fördern und strategische Weitsicht zu entwickeln. KI kann in der Entscheidungsaufbereitung unterstützen, Führung muss weithin die richtigen Fragen stellen und eine stimmige Antwort daraus ableiten.

Die Integrität der Führung liegt nicht nur in der Nutzung von KI, sondern in der Verbindung von technologischem Fortschritt mit menschlichem Handeln und Haltungen. Dies erfordert ein tiefes Verständnis für Bereiche wie Ethik, emotionales und körperliches Wissen und zwischenmenschliche Fähigkeiten. Das Leitmotiv „AI is letting people work like humans, not like robots“ (Paul R. Daugherty & H. James Wilson, 2018) unterstreicht diese Notwendigkeit: KI sollte nicht nur die Effektivität steigern, sondern auch dazu beitragen, dass Mitarbeiter:innen wieder mehr Zugang zu den rein menschlichen Qualitäten erlangen und maschinelles datenbasiertes Arbeiten auch den Maschinen überlassen können. In einer Zeit, in der die Ratio und technische Effizienz im Vordergrund standen, ist es nun an der Zeit, die Chance mit der Einführung von KI zu nutzen und wieder den menschlichen Aspekten und der emotionalen Intelligenz in Organisationen mehr Raum zu geben.

Emotionale Intelligenz als Schlüsselkompetenz

Emotionale Intelligenz gewinnt in der Ära der KI zunehmend an Bedeutung. Während KI-Systeme wie Chatbots und automatisierte Analysen in der Lage sind, große Datenmengen zu verarbeiten, können sie nicht das emotionale Spektrum menschlichen Verhaltens erfassen. Emotionale Intelligenz umfasst Fähigkeiten wie Empathie, Selbstwahrnehmung und soziale Fähigkeiten, die für effektive Führung unerlässlich sind.

In einer von KI dominierten Welt sind es gerade diese menschlichen Fähigkeiten, die den Unterschied machen. Führungskräfte, die emotionale Intelligenz besitzen, können besser auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter:innen eingehen, Konflikte konstruktiv lösen und eine inspirierende Arbeitsumgebung schaffen. Die Fähigkeit, emotionale Signale zu erkennen und entsprechend zu reagieren, wird zu einem entscheidenden Faktor für den Führungserfolg.

Flexibilität und Agilität in einer dynamischen Umgebung

Die rasante Entwicklung der KI-Technologie erfordert von Führungskräften eine hohe Flexibilität und Agilität. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, sich schnell an neue technologische Entwicklungen anzupassen und ihre Strategien entsprechend zu modifizieren. Führungskräfte sollten nicht nur in der Lage sein, Veränderungen zu antizipieren, sondern auch ihre Teams durch diesen Wandel zu führen. Dazu gehört, einen psychologisch sicheren Raum zu schaffen, in dem Mitarbeiter:innen offen über Unsicherheiten, Ängste und Widerstände sprechen können. Durch einen empathischen Umgang und das Fördern einer tragfähigen Zusammenarbeitskultur können Führungskräfte das Vertrauen ihrer Teammitglieder gewinnen und eine positive Einstellung gegenüber Veränderungen stärken.

Diese Flexibilität geht Hand in Hand mit einer starken Resilienz – der Fähigkeit, sich von Rückschlägen zu erholen, daran zu wachsen und kontinuierlich Fortschritte zu machen. Führungskräfte, die diese Eigenschaften besitzen, können nicht nur mit den schnellen Veränderungen der KI-Landschaft mithalten, sondern auch proaktiv neue Chancen erkennen und nutzen, während sie gleichzeitig ihr Team durch den Veränderungsprozess begleiten und stärken.

Ethik und Verantwortung im Umgang mit KI

Die ethische Dimension des Einsatzes von KI ist von entscheidender Bedeutung. Führungskräfte müssen sicherstellen, dass KI-Systeme verantwortungsvoll und im Einklang mit ethischen Richtlinien eingesetzt werden, sowie den Unternehmenswerten entsprechen. Dies bedeutet, dass sie klare Richtlinien für den Umgang mit KI festlegen und darauf achten müssen, dass diese Technologien keinen Schaden anrichten oder unangemessene Konsequenzen haben.

Ethik und Verantwortung sind besonders wichtig, da KI-Systeme in der Lage sind, große Mengen an Daten zu verarbeiten und zu speichern. Führung muss dafür sorgen, dass diese Daten sicher und verantwortungsvoll genutzt werden, ohne die Privatsphäre und Rechte von Individuen zu gefährden.

Intuition und Resonanzfähigkeit

In einer Welt, in der KI zunehmend komplexe Aufgaben übernimmt, wird die menschliche Intuition zu einem wertvollen Asset. Führungskräfte müssen die Fähigkeit besitzen, subtile Signale und Kontextinformationen zu erfassen, die über reine Datenanalysen hinausgehen. Intuition ermöglicht es, fundierte Entscheidungen zu treffen, die sowohl menschliche als auch technologische Faktoren berücksichtigen und im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Organisation stehen.

Die Resonanzfähigkeit, also die Fähigkeit, auf die Bedürfnisse und Stimmungen des Umfelds wahrzunehmen und zu reagieren, ist von großer Bedeutung. Führungskräfte, die diese Fähigkeiten entwickeln, können sensibel auf die komplexen und oft emotionalen Anforderungen ihrer Mitarbeiter:innen eingehen und angemessen darauf reagieren. Resonanz bedeutet in diesem Zusammenhang, die Signale und Gefühle der anderen Personen zu erkennen und darauf einzugehen, auch wenn man nicht notwendigerweise dieselbe „Frequenz“ hat oder sich vollständig mit ihnen identifiziert. Diese Fähigkeit ermöglicht es Führungskräften, effektiver zu kommunizieren und ein unterstützendes Arbeitsumfeld zu schaffen, das den dynamischen Anforderungen gerecht wird.

Fazit: Die Synergie von KI und Menschlichkeit

Der Aufstieg der Künstlichen Intelligenz stellt Führungskräfte vor die Herausforderung, eine Balance zwischen technologischem Fortschritt und menschlicher Führung zu finden. Während KI zahlreiche Möglichkeiten zur Verbesserung von Prozessen und Effizienz eröffnet, bleiben menschliche Kompetenzen unersetzlich. Der gezielte Einsatz von KI ermöglicht es, dass Menschen ihre menschlichen Stärken ausleben können, während Maschinen die Aufgaben übernehmen, für die sie am besten geeignet sind.

Durch den Fokus auf emotionale Intelligenz, Flexibilität, Ethik und Intuition können Führungskräfte die Stärken der KI optimal nutzen und gleichzeitig sicherstellen, dass menschliche Werte und Fähigkeiten weiterhin im Mittelpunkt stehen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Fähigkeit, KI und menschliche Kompetenzen zu kombinieren, um eine innovative, ethisch fundierte und menschliche Arbeitswelt zu schaffen.

Satya Nadella, CEO von Microsoft, drückt es treffend aus: „Die Zukunft der KI dreht sich nicht um den Wettbewerb zwischen Mensch und Maschine, sondern darum, wie Mensch und Maschine gemeinsam eine bessere Welt schaffen können.“ Führungskräfte, die diese Einstellung verinnerlichen, werden nicht nur in der Lage sein, die Potenziale der KI optimal zu nutzen, sondern auch aktiv die Entwicklung ihrer emotionalen Intelligenz vorantreiben. Erfolgreiche Führung der Zukunft wird dort stattfinden, wo in die gleichwertige Weiterentwicklung beider Qualitäten investiert wird – sowohl in die technologischen Möglichkeiten der KI als auch in die menschlichen Fähigkeiten der emotionalen Intelligenz.

Literaturquellen:

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