In den letzten 25 Jahren haben sich eine ganze Reihe neuer Herausforderungen für den Energiesektor ergeben. Nicht nur Extremereignisse wie Waldbrände und tropische Wirbelstürme bringen Risiken für die Energiewende mit sich. Die zunehmend Verbreitung von Elektrofahrzeugen und smarten Geräten sowie stromhungrige digitale Anwendungen wie künstliche Intelligenz lassen den Energiebedarf rasant in die Höhe schnellen – mit entsprechenden Anforderungen an das Stromnetz, das trotz massiver Schwankungen beim Verbrauch eine jederzeit stabile Versorgung gewährleisten soll.
Gebraucht wird ein intelligentes, flexibles Elektrizitätssystem, das zur Dekarbonisierung beiträgt, aber vor allem hilft, den Strombedarf zu verwalten und die Lasten in Spitzenzeiten zu regulieren. In einer temporeichen Energielandschaft werden derzeit vor allem Trends wie Microgrids oder virtuelle Kraftwerke und bidirektionales Laden (Vehicle-to-Grid) heiß diskutiert. Aber auch netzdienliche Gebäude sind eine hochinteressante Entwicklung, mit der die Endverbraucher aktiv am Stromnetz der Zukunft teilnehmen können. Möglich werden solche Anwendungen dank immer besserer Netzverbindungen und der Verfügbarkeit von offenen Kommunikationsstandards wie OpenADR, der zum wechselseitigen Informationsaustausch im Smart-Grid dient.
Smart Homes als Netzressource
Netzdienliche Gebäude können mit intelligenter Automatisierung helfen, das Energiemanagement zu transformieren, indem sie durch Lastausgleich und -optimierung das Stromnetz entlasten. Solche intelligenten Gebäude können ihren Energieverbrauch dynamisch anpassen: Bei hoher Netzbelastung wird der Verbrauch gesenkt und Strom stattdessen aus dezentralen Energieressourcen wie Solarmodulen oder Batteriespeichern bezogen. Selbst der Warmwassertank kann als Energiespeicher dienen und so den Strombedarf zu Spitzenzeiten drosseln.
Voraussetzung sind Smart-Home-Systeme, die nahtlos miteinander und mit dem Stromnetz kommunizieren können. geo, ein Energietechnologie-Unternehmen mit Sitz in Großbritannien, hat dafür kürzlich eine bahnbrechende offene Spezifikation für die Zusammenarbeit der beiden Standards OpenADR und Matter vorgestellt, die massentaugliche, verbraucherfreundliche Lastausgleichslösungen ermöglicht.
Die Spezifikation, die im März 2025 mit Input der OpenADR Alliance und der Connectivity Standards Alliance (CSA) veröffentlicht wurde, stellt ein gut durchdachtes Framework für mehr Energieflexibilität bereit. Anbieter von Demand-Response-Services, Stromversorger und Hersteller von intelligenten Haushaltsgeräten – so genannten Energy Smart Appliances – können mithilfe dieser Spezifikation die Energieflexibilität nutzen, die in Endgeräten, EV-Ladestationen, Wasser- und Stromheizungen sowie in Solarmodulen und Stromspeichersystemen bereits vorhanden ist. Dank der offenen Kommunikationsstandards können diese Systeme mithilfe von entsprechenden Signalen dynamisch Echtzeit-Informationen zur Energieverfügbarkeit und zu aktuellen Strompreisen empfangen – und ihren Verbrauch entsprechend anpassen, um die Last im Stromnetz besser zu regulieren.
Virtuelle Kraftwerke nehmen an Fahrt auf
Eine Balance zwischen Energiebedarf und -verfügbarkeit zu schaffen, ist entscheidend für ein stabiles Stromnetz. Virtuelle Kraftwerke (Virtual Power Plants, VPP) können hier als innovative Alternative zu herkömmlichen Ansätzen dienen, indem sie lokalen Stromnetzbetreibern mehr Flexibilität an die Hand geben. Die sinkenden Preise für Batteriespeicher machen VPP als Netzressourcen immer attraktiver. Implementierungen der ersten Generation erfolgten beispielsweise über Photovoltaikanlagen auf Dächern sowie Energiespeichersysteme. Inzwischen sind Elektrofahrzeug-Ladestationen in der Entwicklung, die flexible Strompreise, die Integration von Solarmodulen sowie KI-basierte Lastregelungsprognosen unterstützen.
Die Energiewirtschaft setzt selbst bei Wohnimmobilien verstärkt auf Ressourcenaggregation. Dank der Verfügbarkeit unterschiedlicher Energieressourcen, von Solaranlagen bis hin zu Batteriespeichern und Elektrofahrzeugbatterien, sind virtuelle Kraftwerke im Vergleich zu traditionellen Stromquellen oft deutlich wirtschaftlicher zu implementieren und bieten ein beträchtliches Potenzial für ein stabileres und effizienteres Stromnetz.
Unternehmen, die erwägen, den VPP-Markt für sich zu erschließen, sind bereits offen für die Nutzung von fortschrittlichen Technologien und offenen Standards. Energieversorger, die Privathaushalte, Arbeitsplätze und sogar ganze Kommunen in virtuelle Kraftwerke umwandeln wollen, müssen dazu unter anderem mit Technologieunternehmen und Produktherstellern zusammenarbeiten. Parallel dazu braucht es überarbeitete gesetzliche Vorgaben, damit VPPs ihr Potenzial voll entfalten und dadurch eine optimierte Energienutzung ermöglichen können.
Stromhungrige Rechenzentren
Die Bereitstellung von ausreichend Energie und Rechenleistung für künstliche Intelligenz, Kryptowährungen und andere stromhungrigen Anwendungen ist derzeit eine der größten Herausforderungen für Rechenzentren. Stromanbieter klagen bereits über stark ausgelastete Netze und versuchen über Modernisierungsmaßnahmen, für mehr Flexibilität zur Bewältigung von Spannungsspitzen zu sorgen. Allerdings ist in den nächsten Jahre mit einem deutlichen Zuwachs bei der Anzahl und Größe von Rechenzentren zu rechnen. Das dürfte drastische Folgen für den Energiesektor haben. Zugleich steigt der Druck auf Technologie-Unternehmen, in ihren Rechenzentren für eine höhere Energieeffizienz und mehr Nachhaltigkeit zu sorgen.
Microgrids könnten die Lösung sein, um Energie für Rechenzentren nachhaltiger und effizienter bereitzustellen. Microgrids sind kleine, lokale Stromnetze, die entweder unabhängig oder mit Anbindung an das Hauptstromnetz betrieben werden. Ihre Größe kann von Privathaushalten bis hin zu der Größe eines Universitätscampus reichen. Von Wohngebieten bis hin zu Unternehmensstandorten, etwa dem von Apple im Silicon Valley, werden Microgrids bereits in verschiedenen Bereichen eingesetzt.
Ihr Vorteil besteht vor allem darin, Kapazitätsbeschränkungen oder Netzprobleme im öffentlichen Stromnetz zu überwinden und die Zuverlässigkeit der Stromversorgung zu verbessern, indem sie den Verbrauch intelligent managen und bei Bedarf auf dezentrale Energiequellen zurückgreifen. Für Rechenzentren, die auf einen unterbrechungsfreien Betrieb angewiesen sind, ist eine derartige Resilienz und Flexibilität unverzichtbar.
Nachhaltigkeit ist ein weiterer Pluspunkt von Microgrids. Durch die Integration von erneuerbaren Energien und Energiespeichern können sie die CO₂-Bilanz eines Rechenzentrums deutlich verbessern. Zugleich ermöglichen sie die Reduzierung der Betriebskosten. Insgesamt könnte die dezentrale Stromversorgung über ein Netzwerk aus Microgrids ein dynamischeres Lastmanagement ermöglichen und die Nutzung erneuerbarer Energiequellen optimieren – vor allem angesichts der steigenden Belastung des Stromnetzes in einer von künstlicher Intelligenz bestimmten Zukunft.
Flexibilität durch Elektroauto-Lademanagement
Der rasch wachsende Markt für Elektrofahrzeuge hat die Zusammenarbeit zwischen Automobilherstellern und Energieversorgern beflügelt. Die zunehmende Elektrifizierung steht für eine Jahrhundert-Transformation sowohl in der Automobilbranche als auch im Energiesektor. Schon jetzt gibt es zahlreiche Ladeprogramme, die auf Standards wie OpenADR setzen und auf das Open Charge Point Protocol (OCPP), ein offenes Kommunikationsprotokoll für Ladestationen.
In naher Zukunft ist mit vielen weiteren Innovationen zu rechnen. Neben dem grundlegenden Kommunikationsprotokoll sind beim Laden von Elektrofahrzeugen unterschiedliche Systeme involviert. Vom Ladestecker bis hin zur Bedienungsoberfläche müssen diese Systeme immer weiter standardisiert werden, um eine zukunftssichere, bedienungsfreundliche und skalierbare Lösung zu ermöglichen. Regierungen weltweit investieren derweil in Ladeinfrastrukturen im Rahmen ihrer Klimaneutralitätsziele und klimapolitischen Agenden.
Angesichts der wachsenden Nachfrage bei Elektroautos wird natürlich auch der Strombedarf zunehmen. Je mehr Elektrofahrzeuge es gibt, desto höher wird die Belastung des Stromnetzes sein, vor allem, wenn Autos in Spitzenzeiten zu Hause oder am Arbeitsplatz geladen werden sollen. Die Prognose dieser Spitzenzeiten mit entsprechender Lastregelung wird für den ungezügelten Ausbau der Ladeinfrastruktur unverzichtbar sein. Energieversorger müssen daneben Anreize für Verbraucher schaffen, ihre Fahrzeuge außerhalb der Stoßzeiten zu laden, beispielsweise durch niedrigere Stromtarife. Und sie müssen die Vorteile zeitnah und gut verständlich kommunizieren.
Ein standardisierter Informationsaustausch zu flexiblen Preissignalen, aktuellem Stromverbrauch und verfügbaren Kapazitäten ist die Grundlage für eine effektive Lastregelung, damit Versorger wie Nutzer auf Bedarfsschwankungen flexibel reagieren können. Verteilnetzbetreiber müssen diese Informationen schnell und sicher über offene Kommunikationsstandards an die Endkunden weitergeben können. Solche Standards sind auch entscheidend für den Erfolg von Flexibilitätslösungen, wie etwa dem bidirektionalen Laden (Vehicle-to-Grid), bei dem der gespeicherte Strom aus der Fahrzeugbatterie wieder ins Netz zurückfließen kann.
Allerdings werden solche Programme nur dann Erfolg haben, wenn die Verbraucher sie auch annehmen. Alle Beteiligten, von Energieversorgern über Automobilhersteller bis hin zu den Behörden, müssen an einem Strang ziehen, um für Energieflexibilitätsinitiativen zu werben.
Intelligente Häuser, lokale Microgrids, die zunehmende Elektrifizierung und flexible Stromtarife: Es wird interessant sein zu verfolgen, wie sich all diese Trends weiterentwickeln – und welche Rolle offene Standards im Stromnetz der Zukunft spielen werden.









