Während die Digitalisierung im Gesundheitswesen in vielen europäischen Ländern bereits weit vorangeschritten ist, steckt sie in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Schuld ist eine Mischung aus Bürokratie, Datenschutz und Kompetenzstreitigkeiten. Die Bundesregierung möchte jetzt durchgreifen und die digitale Transformation im Gesundheitssektor stärker vorantreiben. Gesundheitsminister Spahn lässt sich bereits intensiv beraten, um Ideen zu entwickeln und rechtliche Fragen zu klären.
In einer aktuellen Studie zum Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswesen landet Deutschland nur auf dem vorletzten Platz. Zu den Vorreitern gehört beispielsweise Israel. Hier wird künstliche Intelligenz (KI) seit Langem bei der Krebsvorsorge eingesetzt. Dänemark zählt ebenfalls zu den Vorreitern der digitalen Transformation im Gesundheitssektor. Hier gehören Behandlungen per Videochat längst zur gängigen Praxis. Deutschland ist in diesem Bereich hingegen ein Entwicklungsland, für das Faxe bereits zur modernsten Technologie gehören. Es wäre wichtig, Patientendaten allen zuständigen Stellen verfügbar zu machen und moderne Geräte einzusetzen. Das käme einerseits den Patienten zugute und könnte andererseits einer McKinsey-Studie zufolge bis zu 34 Milliarden Euro jährlich einsparen.
Ein großes Problem ist, dass nicht alle Patientendaten einheitlich und gesammelt an einem Ort zur Verfügung stehen. Stattdessen gibt es verschiedene Behörden und Einrichtungen mit jeweils eigener Verwaltung und unterschiedlichen Kompetenzen. Das liegt daran, dass für den Aufbau unseres Gesundheitssystems die sogenannte Gematik-Gesellschaft verantwortlich ist. In dieser sind jedoch diverse Interessengruppen vertreten, zu denen beispielsweise Apotheker, Ärzte und Krankenhäuser gehören. Sie alle arbeiten selbstverwaltet und haben hierdurch zum Beispiel die Entscheidungshoheit über Budgets und Arbeitsweisen.
Es ist klar, dass die verschiedenen Gruppen ihre Interessen wahren und ihren Einfluss nicht schmälern wollen. Allerdings führt diese Art der Selbstverwaltung dazu, dass jeder Bereich sein eigenes Süppchen kocht. Zentrale Informationen sind nahezu nicht zu bekommen. Das Problem ist bereits seit 15 Jahren bekannt und die Suche nach einer Vernetzung der verschiedenen Daten läuft. Bis jetzt wurde aber noch kein Kompromiss gefunden, mit dem alle Seiten einverstanden wären.
Elektronische Rezepte und digitale Patientenakten könnten die Prozesse optimieren, Wartezeiten verkürzen und damit die Behandlung von Kranken verbessern. Ebenso wären Videobehandlungen hilfreich, da Patienten dann nicht erst in eine Praxis gehen müssten, sondern direkt von zu Hause aus Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufnehmen könnten. Solche Vorhaben möchte die Bundesregierung jetzt stärker voranbringen. So wurde beispielsweise beschlossen, dass die Krankenkassen ihren Mitgliedern bis 2021 eine Digitalkarte zur Verfügung stellen müssen. Über diese ist es dann möglich, Patientendaten einfach via Smartphone oder Tablet aufzurufen.
Wichtig ist es, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die gewünschten Ziele zu erreichen. So müssen Ärzte insbesondere optimal abgesichert sein, wenn sie Diagnosen aufgrund eines Videochats stellen sollen. Ebenso müssen klare Regeln für den Onlineversand rezeptpflichtiger Arzneimittel aufgestellt werden. Nur wenn Rechtssicherheit herrscht, werden die zuständigen Stellen digitale Technologien bei ihrer Arbeit einsetzen.
Gesundheitsminister Spahn lädt immer wieder zu Treffen ein, um mit Branchenexperten über die aktuelle Situation und mögliche Lösungen für Probleme zu sprechen. Viele Interessenvertretungen wie die Krankenkassen meiden jedoch den Weg der Bürokratie. Es dauert einfach sehr lange, bis neue Behandlungsverfahren autorisiert und in den allgemeinen Leistungskatalog aufgenommen wurden. Deswegen hat sich die Praxis etabliert, mit E-Health-Anbietern zu kooperieren. So arbeitet etwa die Techniker Krankenkasse (TK) mit dem Start-up Ada Health zusammen.
Dieses Unternehmen bietet eine App an, in die Patienten ihre Symptome eintragen können. Das System erstellt dann eine erste Vordiagnose und verbindet die Nutzer anschließend mit einem behandelnden Arzt. Dieser greift bei der Diagnose per Telefon oder Videochat auf die angegebenen Daten zu und spart somit bei der Anamnese eine Menge Zeit. Solange die Bundesregierung kein umfassendes E-Health-Konzept entwickelt und umsetzt, werden sich die verschiedenen Gruppen weiter auf solche Ausweichlösungen konzentrieren.
Das Problem ist: Die Aussagen über E-Health im Koalitionsvertrag sind sehr schwammig. Aktuell pumpt die Bundesregierung Geld in verschiedene Bereiche wie Unikliniken und Forschungsinstitute. Jedoch sind die Anstrengungen noch zu gering, um die gigantischen Möglichkeiten der digitalen Transformation für das Gesundheitswesen tatsächlich nutzen zu können.
Ein wichtiges Thema beim Umgang mit Patientendaten ist der Datenschutz. Die Deutschen haben große Sorge davor, dass ihre sensiblen Krankendaten öffentlich werden könnten. Deswegen hat die Gematik für den Umgang mit solchen Daten hohe Sicherheitsstandards entwickelt und legt großen Wert auf deren Einhaltung. Allerdings haben IT-Leute des Chaos Computer Clubs große Bedenken, was die aktuellen digitalen Angebote betrifft. Anders sieht es die Digital-Staatsministerin Dorothee Bär. Sie meint, dass der Datenschutz nicht zu einem Hemmnis für die Digitalisierung des Gesundheitswesens werden dürfe, und fordert „an der einen oder anderen Stelle ab[zu]rüsten“.
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