Die Landflucht ist immer noch ein ernstes Problem in Deutschland. Nach wie vor ziehen viele Menschen aus den ländlichen Regionen weg und gehen in die großen Städte. Glaubt man Baden-Württembergs Technologiebeauftragtem, könnte sich dieser Trend aber bald umkehren. Denn gerade für den ländlichen Raum ist die Digitalisierung eine riesige Chance. Hierfür ist es aber wichtig, ganz Deutschland am Fortschritt teilhaben zu lassen. Das geht nämlich nur durch einen aktiven und professionellen Netzausbau.
Baden-Württembergs Technologiebeauftragter Prof. Dr.-Ing. Prof. e. h. Wilhelm Bauer, der zugleich Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation in Stuttgart ist, sieht in der Digitalisierung eine riesige Chance für den ländlichen Raum. Ihm zufolge seien primär die günstigen Lebenshaltungskosten ein wichtiger Standortfaktor des Landes. Während es in deutschen Großstädten kaum noch möglich ist, bezahlbaren Wohnraum zu finden, gibt es auf dem Land viele Wohnmöglichkeiten zu günstigen Preisen. Grund genug für viele junge Menschen, sich bei ihrer Lebensplanung in Richtung Land zu orientieren und hier neue Unternehmen zu gründen und Visionen zu realisieren.
Außerdem sieht Bauer in der hohen Lebensqualität, die das Land bietet, einen wichtigen Grund, warum Menschen mittel- und langfristig dorthin ziehen werden. Sie profitieren von einer weitestgehend intakten Umwelt und müssen sich nicht mit Verkehrschaos und steigenden Wohnkosten herumschlagen. Regionale Konsumgüter sind gesund und preiswert und es besteht reichlich Gelegenheit, sich sozial zu engagieren. All diese Argumente sprechen Bauer zufolge dafür, dass ländliche Regionen einen Boom erleben und dass Menschen dorthin strömen werden.
Meine Vision ist, dass im ländlichen Raum wieder ganz neue Keimzellen der Innovation entstehen, vielleicht 30 bis 50 Kilometer außerhalb der heutigen Hot Spots, wo sich die nächste Generation aufgrund günstiger Lebenshaltung und hoher Lebensqualität zusammenfindet und Unternehmen von morgen gründet.
Prof. Dr.-Ing. Prof. e. h. Wilhelm Bauer in der stuttgarter-zeitung.de
Damit die ländlichen Regionen von der Digitalisierung profitieren, muss aber noch einiges geschehen. In diesem Zusammenhang ist vorwiegend der Breitbandausbau zu nennen. Es gibt immer noch zu viele Regionen, in denen selbst das Versenden einer E-Mail unverhältnismäßig lange dauert oder gar nicht funktioniert. Es gibt immer noch zu viele unterversorgte Regionen und rund 2,3 Millionen Haushalte müssen auf schnelles Internet verzichten. Das ist ein Hemmnis, das boomende ländliche Regionen verhindert. Gerade die teils unvereinbaren Positionen staatlicher Institutionen und Unternehmen aus der Privatwirtschaft verhindern einen schnell voranschreitenden Breitbandausbau.
Außerdem ist es wichtig, gute Verbindungen in die großen Städte aufzubauen. Die Menschen wollen die Vorteile des Landes genießen, hierbei aber das pulsierende Leben und die Abwechslung der großen Städte nicht missen. Deswegen müssen hauptsächlich Infrastrukturprojekte realisiert werden. Hierzu gehören etwa On-Demand-Shuttles, die eine problemlose Verbindung in die Städte anbieten. Zudem muss das Schienennetz ausgebaut und optimiert werden. Zuverlässige Züge und eine gute Taktung sind hierbei nur zwei der wesentlichen Faktoren. Nur wenn sich die Menschen auf dem Land gut aufgehoben und nicht abgehängt fühlen, ziehen sie dorthin und engagieren sich aktiv.
Stuttgart hat sich vorgenommen, in dieser Legislaturperiode 500 Millionen Euro in den Aufbau einer digitalen Infrastruktur zu investieren. Ebenso rechnet die Stadt fest damit, weitere Geldmittel vom Bund zu bekommen, um sinnvolle Digitalprojekte zu fördern. Hierbei sind die Regierungen jedoch auf die Menschen vor Ort angewiesen. Vor allem Projekte, die die Gemeinden und Dörfer selbst anstoßen und umsetzen, haben gute Chancen auf Erfolg. Wer sich auf staatliche Projekte und die Privatwirtschaft verlässt, stellt schnell fest, dass deren Mühlen sehr langsam mahlen. Die digitale Zukunft des Landes hängt also davon ab, dass die Menschen aktiv werden und sich am Aufbau einer digitalen Infrastruktur beteiligen.
Bauer rät dazu, in der Digitalisierung allein nicht das Allheilmittel zu sehen. Ebenso wichtig sei es, „Orte der Begegnung“ aufzubauen und das menschliche Miteinander zu fördern. Hierfür eignen sich Jugendzentren und Altentreffs ebenso wie Kneipen und Sporteinrichtungen. Es gehe nicht darum, sich entweder für die Digitalisierung oder für ein analoges Leben zu entscheiden. Viel wichtiger sei es, das Beste aus beiden Welten zu nutzen, um ein angenehmes Wohn- und Lebensumfeld zu schaffen. Dieses ist nämlich unverzichtbar, wenn Menschen sich auf dem Land wohlfühlen und an der neuen, digitalen Welt mitarbeiten sollen.
Die Landflucht wird in Deutschland immer mehr zum Problem. Vor allem junge, gut ausgebildete Menschen lassen ihre ländliche Heimat hinter sich und suchen ihr Glück in urbanen Ballungszentren. Hierdurch sehen sich viele Geschäfte und Kommunen in ihrer Existenz bedroht. Wer hier gegensteuern möchte, muss die ländlichen Gebiete für Unternehmen und Arbeitnehmer attraktiv machen. Hierbei helfen die Digitalisierung, der Breitbandausbau und die Anwendung des städtischen Erfolgskonzepts der Coworking Spaces.
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