Digitale Gesundheitslösungen und Medizintechnik, die die Pflegebranche und Pflegende entlasten können

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Gerd Meyer-Philippi ist Geschäftsführender Gesellschafter der CompWare Medical GmbH aus Südhessen, die Weltmarktführer für IT-basierte Methadon-Dosiersysteme ist. Er verfügt über mehrere Jahrzehnte Erfahrung im deutschen Gesundheitssektor und ist ein Experte für Digitalisierung im Gesundheitswesen. Meyer-Philippi ist auch Co-Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter des Healthtech-Start-Ups Tantum Sana.
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Neue Technologien und Digitalisierung erlauben effizientere, bessere und manchmal auch neue Wege in der Medizintechnik und deren Anwendung. Eine Sprechstunde, die digital am Tablet geführt wird, der Arzt, der sich bei der Diagnostik durch EDV unterstützen lässt, automatisiertes und intelligentes Vorrichten von Medikamenten – Digitalisierung ist auch in der Medizintechnik und den dahinterstehenden Prozessen ein äußerst wichtiges Thema. Und auch für die Pflegebranche werden digitale Tools immer bedeutender.

Denn nicht nur die Technik und die daraus resultierenden Möglichkeiten ändern sich, sondern auch ganze Prozesse. Das hat auch Einfluss auf die Personalsituation in der Medizin- und Gesundheitsbranche – und auf den entsprechenden Bedarf. Zumal gerade die Personalsituation in der Pflege dramatisch ist. Es fehlen aktuell mindestens 200.000 und schon bald 500.000 Menschen als qualifiziertes Pflegepersonal. Bei der demografischen Entwicklung Deutschlands ist das eine Katastrophe.

Schließlich wird die Gesellschaft immer älter. Das hat im Wesentlichen drei Gründe: Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt im Wohlstand, die Qualität der Medizin nimmt permanent weiter zu und die Demografie verändert die Altersstruktur. Das ist allerdings zugleich auch das gravierendste Problem: Bereits heute sind rund 25 Millionen Menschen in Deutschland älter als 60 Jahre. In zwei bis drei Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Gleichzeitig gibt es in der Bundesrepublik zunehmend weniger junge Einzahler.

Nicht zuletzt deshalb gerät das Gesundheits- und auch das Rentensystem immer mehr in finanzielle Schieflage. Schon jetzt werden aktuellen Studien zufolge rund 3,3 Millionen Senioren mit einem Pflegegrad zuhause betreut, bald werden es sechs Millionen sein. Nicht erfasst sind dabei diejenigen Senioren, die auch der Pflege zuhause bedürfen – aber keinen Pflegegrad beantragt haben oder aus anderen Gründen pflegebedürftig sind. Unabhängig davon, ob der Pflegedienst vor Ort betreut, tragen bereits heute fast fünf Millionen pflegende Angehörige die wesentliche Last der zu erledigenden Aufgaben.

Viele Betroffene spüren starke Belastung

Dabei werden lediglich rund eine Million Menschen mit einem Pflegegrad durch ambulante Pflegedienste mitversorgt. Mitversorgt bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die pflegenden Angehörigen nicht außen vor sind. Einkaufen, Arztbesuche, Rezepte abholen, Medikamente in der Apotheke besorgen, Korrespondenz etwa mit der Krankenkasse und vieles weitere mehr sind eine starke Belastung.

Aufgrund der häufig engen persönlichen Verbundenheit zu den Pflegebedürftigen empfinden viele Angehörige eine starke Verpflichtung, sich intensiv um sie zu kümmern. Oftmals haben sie zudem ein schlechtes Gewissen, dass das Geleistete nicht ausreichend ist. All das kommt hinzu zur ohnehin hohen zeitlichen und mentalen Belastung. Schließlich möchten die Betroffenen unbedingt, dass es dem Senior oder der Seniorin an nichts mangelt und es ihm oder ihr gut geht.

Aus offiziellen Studien ist bekannt, dass sich 75 Prozent der pflegenden Angehörigen durch die Situation stark oder sehr stark belastet fühlen. Dabei sind rund zwei Drittel der Betroffenen auch noch in Voll- oder Teilzeit berufstätig – und oftmals sind auch noch Kinder da, die ebenfalls betreut und versorgt werden müssen.

Zahl der zu Pflegenden wird sich verdoppeln

Gleichzeitig gibt es in Deutschland aber wie beschrieben auch ein zunehmendes Personalproblem bei qualifiziertem Pflegepersonal. Parallel dazu wird sich allein die Zahl der Senioren mit Pflegegrad verdoppeln. Davon wird die große Mehrheit zuhause leben wollen und auch müssen. Seniorenwohnheime sind kaum mehr finanzierbar.

Doch wo könnte man konkret ansetzen, um Senioren die Möglichkeit zu geben, altersgerecht und gut versorgt zuhause länger und selbstbestimmt leben zu können? Und wie können die Angehörigen besser entlastet werden? Bei diesen Fragen und Aspekten können digitale Gesundheitslösungen eine wichtige Rolle spielen.

Polymedikation ist ein weltweites Problem

Polymedikation

Grundsätzlich stellt Polymedikation in diesem Zusammenhang ein weltweites gravierendes Problem in allen Ländern mit funktionierendem Gesundheitssystem dar. Unter Polymedikation versteht man je nach Definition die tägliche Einnahme von mehr als drei oder mehr als fünf Medikamenten.

Denn ein gravierendes medizinisches Problem betrifft gerade die Senioren. Rund 8,5 Millionen müssen laut repräsentativen Studienergebnissen regelmäßig fünf und mehr Medikamente parallel einnehmen, oftmals sind es sogar zehn und noch mehr – in den Seniorenwohnheimen liegt der Schnitt bei elf. Allein das manuelle Vorsortieren der Medikamente in die Wochenbox ist dabei ein sehr fehleranfälliges Verfahren, auch wenn es durch examinierte Pflegekräfte erfolgt. Und das hat Gründe.

So sind in den meisten Fällen keine oder nur unvollständige Medikationspläne vorhanden. Auch hat keiner der behandelnden Ärzte einen Überblick darüber, welche Medikamente von weiteren Ärzten jeweils zusätzlich verschrieben wurden. Oftmals werden die Medikamente auch von unterschiedlichen Apotheken besorgt. Niemand hat also vorher fachkundig geprüft, ob es durch die Einnahme der von verschiedenen Ärzten verordneten Medikamente nicht zu gravierenden und gesundheitsgefährdenden Wechselwirkungen kommen kann.

Erschwerend hinzu kommt, dass bis zu 50 Prozent der Medikamente falsch eingenommen werden oder die Einnahme schlichtweg komplett vergessen wird. Die Folgen sind dramatisch: Jährlich erfolgen bis zu einer Million Krankenhauseinweisungen aufgrund von Medikationsproblemen, jede dritte Einlieferung eines Seniors ins Krankenhaus resultiert daraus. Und jährlich sterben in Deutschland rund 25.000 Menschen an gravierenden Medikationsproblemen.

Den Krankenkassen entstehen durch das Problem Polymedikation jährlich Kosten in Höhe von zehn Milliarden Euro sowie Kosten durch weggeworfene Medikamente in Höhe von fünf bis sieben Milliarden Euro.

Digitalisierung der Medizin- und Gesundheitsbranche als Schlüssel

Lösungen für diese vielschichtige Problematik gibt es bereits. Der Schlüssel liegt in der Digitalisierung der Medizin- und Gesundheitsbranche. Hierbei ist es von grundsätzlicher Bedeutung, zuerst den Prozess zu betrachten und zu verstehen. Es stellt sich daher die Frage, wie ein in sich schlüssiger Prozess aussehen kann? Dabei ist es wichtig, den gesamten Prozess der Medikamenteneinnahme nicht nur zu betrachten, sondern ihn auch verständlicher zu machen und zu vereinfachen. Digitale Medikamentenmanagement-Systeme für zuhause stellen einen weiteren wichtigen Faktor dar.

Tatsache ist: Der eigentlich logische Prozess bei der fehlerfreien Medikamenteneinnahme beginnt bei den Ärzten, geht über den Patienten zu einer Apotheke, die alle verordneten Rezepte überprüft, gegebenenfalls Rücksprache mit einem der Ärzte nimmt und anschließend den Gesamtmedikationsplan erstellt. Dadurch wird verhindert, dass Wechselwirkungen entstehen. Die Apotheke richtet die Medikamente automatisiert und fehlerfrei für 7-14 Tage vor und liefert sie dem Patienten im besten Fall nach Hause.

Vor allem deshalb, da der Apotheker das pharmazeutische und pharmakologische Fachwissen hat, um das gesamte Medikamentenmanagement wie beschrieben durchzuführen. Hierfür suchen sich der Patient oder die pflegenden Angehörigen eine Vor-Ort-Apotheke ihres Vertrauens aus, die alle beschriebenen Schritte des Prozesses übernimmt. Darüber hinaus übernimmt die Apotheke auch das Rezeptmanagement. Wird ein Folgerezept benötigt, kann sie das direkt bei dem entsprechenden Arzt anfordern.

Damit ist das Thema der fehlerhaften Einnahme der Medikamente jedoch noch nicht final gelöst. Es stellt sich darüber hinaus nämlich auch die Frage, wie man die einzelnen Schritte zu einem automatisierten und insgesamt weitgehend fehlerfreien Prozess verbinden kann.

Dabei leisten Digitalisierung und Technik den notwendigen Beitrag und liefern die erforderliche Effizienz.

Digitale Medikamentenmanagement- und Vergabesystem für Zuhause können alle erforderlichen Schritte aus einem Guss umsetzen. Dabei können die von der Apotheke maschinell vorgerichteten Medikamente und Medikationspläne automatisch über eine Cloud in digitale Tablettenspender gehen, die den Patienten optisch und akustisch daran erinnern, sein Medikament einzunehmen. Durch die Digitalisierung wird auch eine einfache und seniorengerechte Bedienung ermöglicht. Per One-touch löst der Patient die Ausgabe des Medikaments aus. Sollte er das nicht tun, kann über Apps ein Angehöriger oder der Pflegedienst informiert werden. Digitale Lösungen ermöglichen also zur richtigen Zeit das richtige Medikament in der richtigen Dosis.

Mit Blick auf die weitere Entwicklung und die Möglichkeiten der Digitalisierung in der Medizintechnik und Pflege ist die Medikamentenversorgung des Menschen vor Ort aber lediglich der erste Schritt. Die konsequente Weiterentwicklung von Geräten zum zentralen Gesundheitshub in der Wohnung des Menschen muss das Ziel sein.

Länger gesund und selbstbestimmt zuhause leben

So wird es die Digitalisierung perspektivisch auch ermöglichen, viele weitere Anwendungen wie Notfallknopf, Video-Sprechstunde mit dem Arzt, die Anbindung medizinischer Wearables wie Blutdruck, Blutzucker, Gewicht etc. oder auch zusätzliche Apps aus dem Bereich DiGA (Digitale Gesundheitsanwendungen) und DiPA (Digitale Pflegeanwendungen) zu nutzen. Mittels KI (Künstlicher Intelligenz) könnten somit auch vorhandene Daten patientenindividuell ausgewertet und dadurch aktive Unterstützung im gesundheitlichen Bereich älterer und pflegebedürftiger Menschen geleistet werden.

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