Die Digitalisierung bringt ganz neue Formen religiöser Kommunikation hervor. Musste ich zu einem Seelsorgegespräch früher in eine Kirchengemeinde gehen, erfolgen Seelsorgegespräche heutzutage oftmals per Mail. Insbesondere junge Menschen nutzen digitale Kommunikationsformen, um mit einer Institution zu kommunizieren, an deren Botschaft sie glauben, deren Strukturen sie aber abschrecken. Die Kirchen müssen den digitalen Trend im Glauben aufgreifen und aktiv mitgestalten, wenn sie nicht davon überrollt werden wollen.
Dass die Digitalisierung Einzug in der Religion hält (oder ist es andersherum?) zeigt sich an vielen Stellen. So gibt es einen Segensroboter, der Menschen segnet und ihnen den Segensspruch auf Wunsch ausdruckt. Mit Jana Highholder hat die evangelische Kirche in Deutschland eine eigene Influencerin, die sich mit religiösen Themen auseinandersetzt und diese in ihrem Youtube-Kanal „Jana“ auf jugendgerechte Weise präsentiert. Hierbei scheut sie nicht den Kontakt mit Andersdenkenden, setzt sich mit der modernen Wissenschaft auseinander und schafft es, bei allem, was sie tut, authentisch, glaubwürdig und sympathisch zu sein. Josef Manser ist römisch-katholischer Pfarrer in der Schweiz und arbeitet bei einem Seelsorgeportal mit, an das sich Gläubige bereits seit 20 Jahren per Mail bei Fragen und Problemen wenden können. Dies sind nur drei von unzähligen Beispielen, in denen Glaube in die digitale Welt vordringt.
Immer mehr Angebote der Kirchen haben einen digitalen Bezug oder funktionieren über das Internet. Offensichtlich besteht ein großer Bedarf an neuen Kommunikationsformen im Bereich der religiösen Themen. Josef Menser ist immer wieder überrascht, wie vertrauensvoll die Menschen in Bezug auf die digitalen Angebote der Kirchen sind und wie persönlich sie bereits in den ersten Mails werden. Und auch die Reaktionen auf den Segensroboter sind weitestgehend positiv. Die Menschen spüren selbst über die digitalen Medien hinweg, dass etwas mit ihnen geschieht, wenn sie ein digitales Angebot der Kirchen nutzen. Sie fühlen sich verstanden, angenommen und Teil einer Gemeinschaft, obwohl sie vielleicht allein zu Hause vor dem Bildschirm sitzen. Das Internet vereinsamt die Menschen also nicht, wie man meinen könnte, sondern dient oftmals als Brücke zu anderen Menschen.
Das zeigt sich zudem daran, dass ganz neue Gruppen und Gemeinschaften im Internet entstehen. Diese sind oftmals auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen für ihren Glauben und nach veränderten Kommunikationsmöglichkeiten mit anderen Menschen. Vor allem junge, religiöse Menschen nutzen solche Angebote, weil sie sich von der Art des Umgangs miteinander angesprochen fühlen. Die Kirchen haben somit in den digitalen Räumen die Möglichkeit, mit einer Zielgruppe in Kontakt zu kommen, die sie in den klassischen Amtskirchen kaum noch oder gar nicht mehr erreichen.
Es stellt sich aber doch die Frage, warum die digitalen Angebote des Internets für viele gläubige Menschen so reizvoll sind. Markus Huppenbauer, der als Ethikprofessor tätig ist, hat für diese Frage verschiedene Lösungsansätze (der ganze Beitrag von Nicole Freudiger am Ende des Artikels). Zum einen sieht er im Internet verschiedene Parallelen zum Gottesglauben. Das Gottesbild der christlichen Kirchen sieht in Gott einen allwissenden, omnipräsenten Vater, der sich liebevoll um seine Kinder kümmert. Das Internet erscheint ebenfalls allwissend zu sein, da es sämtliche Daten über uns speichert und niemals wieder löscht. In einigen Fällen wissen digitale Technologien mehr über uns als wir selbst und eine echte Privatheit ist in der digitalen Welt nicht mehr möglich. Alle sind mit allen vernetzt und verbunden und bilden eine Art große Gemeinschaft, wie das die Gläubigen im Reich Gottes ebenfalls tun.
In Unterschied zu Gott ist das Internet aber nicht zwingend gut und will nicht unbedingt das Beste für die Menschen. Denn wer genau im Besitz unserer Daten ist und uns kennt und beobachtet, weiß niemand so genau. Das Internet hat somit einiges vom alttestamentarischen Gott, den die Menschen vor allem gefürchtet und erst dann geliebt haben. Trotz oder gerade wegen dieser Unsicherheit übt das Internet einen besonderen Reiz auf die Menschen aus. Denn sie sind es gewohnt, bestimmte Dinge wie Krankheiten, Hunger oder Schicksalsschläge nicht in den eigenen Händen zu haben. So wie sie sich früher um die Hilfe der Kirchen bemüht haben, bitten sie heute im Internet ihre Friends und Follower um Rat und Gebete bei Fragen und Problemen.
Nicht zuletzt bieten digitale Technologien eine Art Versprechen der Unsterblichkeit. Eines Tages könnte es möglich sein, den eigenen Geist in eine Maschine zu übertragen und hierdurch quasi unsterblich zu werden. Die digitale Religion hat also das Potenzial, den Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen und sie bei Schicksalsschlägen zu trösten. Diese Versprechen nehmen die Gläubigen dankbar an und schöpfen daraus Kraft und Hoffnung.
Grundsätzlich haben die Kirchen zwei Möglichkeiten: Entweder sie beobachten die Entwicklungen in der digitalen Welt, um zu verstehen, was da eigentlich passiert, oder sie gestalten diese Entwicklungen aktiv mit. Denn aktuell befinden sich viele digitale Gemeinschaften noch in der Findungsphase. Was sind die Verhaltens- und Lebensweisen, denen sich die Gemeinschaft unterwerfen möchte? Welche Formen des Umgangs miteinander und welche religiösen Praktiken und Rituale wollen sie gemeinsam zelebrieren? Noch gibt es keine offizielle Instanz, die klare Regeln für das Miteinander im Internet vorgibt. Die Menschen genießen einfach die Gemeinschaft und das Miteinander, das ihnen diese Kommunikationsformen bieten. Hier bestehen Ansatzpunkte für die Kirchen.
Zudem müssen sich die Kirchen fragen, ob ihr Angebot noch zeitgemäß ist. Besteht die Gefahr, dass die Menschen irgendwann ausschließlich nach digitalen Angeboten suchen, um ihre religiösen Fragen zu klären und Hilfe bei Lebenskrisen zu bekommen? Oder sind die digitalen Angebote lediglich eine Ergänzung der traditionellen Wege, den Glauben zu zelebrieren und mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen? Ganz gleich, ob die Amtskirchen sich zunächst für das analytische Beobachten oder direkt für die aktive Mitgestaltung entscheiden, an einer Auseinandersetzung mit den digitalen Strömungen und ihren Auswirkungen auf die Art, Glauben und Religion zu leben, kommen sie nicht vorbei.
Quelle: SRF Kultur
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