Die Digitalisierung ist weithin als Jobkiller verschrien. Dabei hat die digitale Transformation natürlich auch die Möglichkeit, ganz neue Jobs zu schaffen. Es gibt aber auch heute schon eine Vielzahl an Arbeitsstellen, die von der Digitalisierung profitieren und an Prestige gewinnen. Marcel Fratzscher bietet in seinem Kommentar auf tagesspiegel.de einen guten Überblick über die Stellen, in denen Digitalisierung einen Gewinn bedeutet.
Es ist wahr, dass sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung massiv verändern wird. Das hat sie seit der Industriellen Revolution aber immer wieder getan. Arbeitsplätze, die früher für viele Menschen den Lebensunterhalt gesichert haben, gingen verloren. Das bedeutete aber nicht, dass die Mehrzahl der Menschen brotlos wurde, sondern sie haben sich neue Beschäftigungsfelder gesucht. Neue Technologien gingen immer mit neuen Aufgaben einher und die Tatsache, dass unsere Straßenlaternen heute nicht mehr jede Nacht per Hand angezündet werden müssen, bedeutet nicht, dass nahezu niemand mehr einer bezahlten Beschäftigung nachgehen kann.
Vor diesem Hintergrund muss auch die Digitalisierung betrachtet werden. Es ist wahr, dass sie mittelbar eine Vielzahl an Industrie- und Büro-Jobs beseitigen wird. Die Schreckensszenarien, die heutzutage immer wieder heraufbeschworen werden, sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber maßlos übertrieben. Es wird nicht dazu kommen, dass die Mehrzahl der Menschen ohne Beschäftigung sein wird, weil ihre Arbeitsplätze von Maschinen übernommen werden, die nie krank sind oder eine Lohnerhöhung fordern, während es nur noch Arbeitsplätze für Spezialisten und Eliten geben wird. Die Arbeitswelt wird sich wandeln, doch sie wird sich nicht selbst abschaffen.
Der einzige Unterschied zwischen der Digitalisierung und früheren Veränderungen der Arbeitswelt besteht darin, dass sie viel schneller abläuft. Vergingen zwischen der Entwicklung einer neuen Technologie und ihrer breiten Anwendung früher Jahrzehnte, so haben Arbeitnehmer heutzutage oft nur Jahre, um sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen. Die Veränderungen in der Arbeitswelt nehmen immer mehr an Fahrt auf und nur wer schnell reagiert und flexibel bleibt, wird mit diesen Veränderungen Schritt halten können.
Deutschland ist zu Recht stolz auf sein duales Schulsystem. Es ist so erfolgreich, dass Länder wie Frankreich mit dem Gedanken spielen, es zu adaptieren. Allerdings erweist sich dieses System im Rahmen der Digitalisierung als recht träge. Im dualen Schulsystem entscheiden sich junge Menschen schon sehr früh für einen bestimmten Beruf und spezialisieren sich auf diesen. Das war in früheren Zeiten eine wichtige Kompetenz, heute droht aber die Gefahr, dass eine solche Arbeitsstelle im Rahmen der Digitalisierung wegfallen könnte. Außerdem kommt es nur noch sehr selten vor, dass ein einmal erlernter Beruf bis zum Lebensende so ausgeführt werden kann, wie man ihn einst gelernt hat. Deswegen muss das duale Schulsystem überdacht werden.
Statt einer frühen Fokussierung auf einen bestimmten Beruf sollte das deutsche Bildungssystem Wert auf lebenslanges Lernen und Flexibilität legen. Für die Politik bedeutet das, dass in Kindergärten und Schulen gezielt auf Eigenverantwortung gesetzt und möglichst viel Geld in Weiterbildungsmaßnahmen investiert werden muss. Es muss ein System geschaffen werden, dass es selbst im Erwachsenenalter und bei finanziellen Verpflichtungen (zum Beispiel einer Familie) möglich macht, an Bildungsmaßnahmen teilzunehmen und sich beruflich neu zu orientieren. Hier ist eine frühe Spezialisierung wenig hilfreich, sondern Flexibilität und Neugier sind gefragt.
Ein Modell hierfür könnte das Lebenschancenerbe sein. Hierbei erhält jeder und jede 18-Jährige ein Budget von vielleicht 20.000 Euro, das für Weiterbildungsmaßnahmen oder als Puffer für Risiken beim Start einer Selbstständigkeit genutzt werden kann. Auch Auszeiten oder die Pflege von Angehörigen könnte mit einem solchen Budget finanziert werden. Auf diese Weise werden die Menschen zu Aktivität angespornt und nicht durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ruhiggestellt. Dieses Modell fördert Eigenschaften, die durch die Digitalisierung gefährdet werden: Freiheit, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung. Allerdings sollten nicht nur Maßnahmen zur Linderung der Schäden der Digitalisierung entwickelt, sondern die Vorteile der digitalen Transformation aktiv genutzt werden.
Zwei urmenschliche Eigenschaften werden Maschinen wohl nie ersetzen können: Kreativität und Empathie. Deswegen sind gerade in Pflegeberufen und im künstlerischen Bereich nach wie vor Menschen gefragt, weil diese Wärme ausstrahlen und kontroverse Themen beleuchten können, was Maschinen in dieser Form nicht möglich ist und vermutlich niemals sein wird. Deswegen wird es dazu kommen, dass Berufe wie Kunstschaffende und Pfleger, die heute kaum Geld bringen, in Zukunft an Prestige gewinnen werden. Denn diese Berufe brauchen genau das, was keine Maschine jemals ersetzen kann: Menschlichkeit.
Zwischenmenschliche Dienstleistungen werden in Zukunft stark gefragt sein. Produktivität wird von Maschinen geleistet, während Menschen für ein soziales und menschenwürdiges Miteinander sorgen werden. Diese Entwicklung kann und muss die Politik fördern. Die Digitalisierung darf nicht als Schreckgespenst an die Wand gemalt werden, sondern muss als riesige Chance verstanden und ergriffen werden. Zwar gibt es keine Möglichkeit, Jobs zu retten, die teilweise schon heute anachronistisch sind. Es gibt aber viele Wege und Möglichkeiten, die Digitalisierung zu nutzen, um unsere Gesellschaft menschlicher und lebenswerter zu machen und Menschen neue Arbeits- und Lebensweisen zu eröffnen.
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