Wollt ihr die totale Digitalisierung? Danke, nein.

Angesichts der vielen Vorteile, die die Digitalisierung in der aktuellen Krise mit sich bringt, träumen viele schon von einer komplett digitalisierten Post-Corona-Zeit. Sie wollen die positiven Erfahrungen nutzen, um die Arbeitswelt umzukrempeln und die digitale Transformation unserer Gesellschaft endlich voranzubringen. Was zunächst reizvoll und vernünftig erscheint, ist jedoch mit zahlreichen Risiken verbunden. Die (Arbeits-)Welt nach der Pandemie wird daher tendenziell eher semi-digitalisiert bleiben.

Warum eine komplett digitalisierte Welt reizvoll erscheint

In der Corona-Krise ist die Stunde des Home-Office gekommen. Was für viele Firmen und Arbeitnehmer lange Zeit unvorstellbar war, ist krisenbedingt nun Wirklichkeit geworden. Zahlreiche Menschen arbeiten aktuell von zu Hause aus und merken: Geht doch. Saßen viele von ihnen bisher regelmäßig in Meetings, deren Relevanz eher fragwürdig war, nehmen sie jetzt an effizienten Videokonferenzen teil und merken: Geht doch. Sahen viele Menschen bereits einem langen Muttertag zu Besuch bei der Schwiegermutter entgegen, grüßen sie jetzt Kontakt-beschränkt nur mittels Messenger und merken: Geht doch.

Die Pandemie bringt auf Knopfdruck neue Formen des Arbeitens und Lebens hervor, die von den meisten Menschen als angenehm empfunden werden. In zahlreichen Umfragen geben die Befragten an, dass sie auch nach der Krise gerne häufiger im Home-Office arbeiten würden. Sie wissen es zu schätzen, dass hierdurch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie leichter wird, sparen sich gerne den Weg ins Büro und arbeiten nicht selten auch einmal im Pyjama. Die Unternehmen lernen durch diese Erfahrung, dass das Home-Office eine reale Alternative zur Präsenzarbeitszeit ist und eine sinnvolle Absicherung für zukünftige Krisen darstellt. Alle scheinen zu profitieren. Und dabei wurden Themen wie autonomes Fahren, Smart Homes, Streaming und digital Wallets, die den Menschen ebenfalls viele Vorteile bringen, noch gar nicht erwähnt.

Was gegen eine komplett digitalisierte Welt spricht

Immer häufiger hört man Menschen sagen: „Ich freue mich schon so sehr darauf, dich/Sie wieder einmal persönlich zu treffen.“ und man merkt: Die meinen das ernst. Offenbar empfinden viele das Arbeiten in der Quarantäne als Vereinsamung und sehnen sich nach menschlichem Kontakt. Kommunikation ist eben weit mehr, als die Übermittlung von Informationen. Es geht um das Miteinander, die Atmosphäre, spontane Reaktionen… All das bleibt in der digitalen Kommunikation auf der Strecke. Zu einem angenehmen Arbeiten gehört die Kommunikation und das Miteinander einfach dazu. Und auch in der Freizeit macht es einen Unterschied, ob man gemeinsam in einer Bar sitzt oder sich gegenseitig über Zoom beim Trinken zusieht. Der Mensch ist ein soziales Wesen und das kann ihm keine noch so gute Digitalisierung abgewöhnen, betont Bert Fröndhoff auf handelsblatt.com.

Hinzu kommt, dass das Home-Office viele Menschen vor enorme Herausforderungen stellt, wenn es darum geht, Beruf und Freizeit klar voneinander zu trennen. So wie man nicht dort isst, wo man sein Geschäft erledigt, so spielt man auch nicht dort mit seinen Kindern, wo man seine Bilanzen schreibt. Und umgekehrt übrigens auch nicht. Zahlreiche Menschen geben an, dass durch die Arbeit im Home-Office die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem verschwimmen. Sie versuchen gegenzusteuern, indem sie zum Beispiel in einem speziellen Arbeitsbereich tätig werden und eben nicht im Schlafanzug, sondern im Business Dress arbeiten, aber die Erfolge lassen teilweise auf sich warten. Zudem sagen zahlreiche Menschen, dass sie im Home-Office länger und mehr arbeiten, da sie ständig erreichbar sind und jederzeit alles machen können. Schon jetzt sehnen sich viele danach, ihr Büro wieder hinter sich abschließen und einen wahren Feierabend erleben zu können.

Wie wird die Arbeitswelt nach Corona wohl aussehen?

Es ist davon auszugehen, dass die Menschen die Erfahrungen, die sie aktuell mit der Digitalisierung machen, nach der Krise nicht wieder zurückschrauben werden. Zu positiv und zu nachhaltig haben sich viele Facetten des Home-Office in ihr Gedächtnis eingebrannt. Allerdings werden sie sich auch lange an das Gefühl erinnern, zu Hause allein zu sein und nicht nach Lust und Laune Menschen treffen zu können. Der Wunsch nach Flexibilität und Freiheit wird mit dem Wunsch nach sozialen Kontakten und einem angenehmen Miteinander beim Arbeiten kollidieren. Und dann muss ein Weg gefunden werden, beide in Einklang zu bringen.

Die Arbeitswelt nach Corona wird daher ein Mittelweg sein. Die Menschen werden digitale Technologien stärker als zuvor nutzen, aber längst nicht alle ihre Lebensbereiche digitalisieren. Die Pandemie verdeutlicht den Menschen, wie toll die Digitalisierung ist, sie zeigt aber auch deren Grenzen auf. Mit etwas Glück führt das dazu, dass wir nach der Corona-Krise tatsächlich in einer schönen neuen Welt leben und arbeiten dürfen, in der wir von den digitalen Vorteilen profitieren, ohne die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

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